Sidneys Pollack hat große Thriller und große Melodrame gedreht. Mit Die Dolmetschein begibt er sich nun ins Genre des politischen Thrillers, das Feld von Die drei Tage des Condor.
Von einem packenden Ausgangspunkt aus entspinnt sich die Geschichte der Dolmetscherin Silvia Broome, sie hat etwas gehört, was sie nicht hätte hören sollen, ein Attentat mitten in der UN-Vollversammlung ist geplant, vor den Augen der ganzen Welt ein Attentat auf den ungeliebten Diktator von Matobo, der des Völkermordes angeklagt ist. Immer wieder zeigt der Film Demonstranten, die durch die Straßen New Yorks ziehen, um gegen Edmund Zuwanie zu protestieren, und gleich zu Anfang hat der Film einen Eindruck dessen gegeben, wieviele Leichen Zuwanie im Keller hat, die Körper stapeln sich in den Katakomben eines Fußballstadions.
Zwei Menschen in New York werden in die Machtkämpfe von Matobo verwickelt, Silvia, die traurige Dolmetscherin, und Tobin Keller, der traurige Secret-Service-Mann, der das mögliche Attentat verhindern soll. Tobin hat vor kurzem seine Frau verloren, in der Arbeit sucht er Vergessen, und Silvia hat ihre Kindheit in Matobo verbracht, ihre Erlebnisse haben sie geprägt, und sie trägt Geheimnisse aus der Vergangenheit mit sich herum, die Tobin immer wieder an ihrer Aussage zweifeln lassen. Ist sie wirklich die fanatische Verfechterin der Demokratie, die radikale Anhängerin der Idee von den Vereinten Nationen, für die sie sich ausgibt?
Geschickt spielt der Film mit Gegenständen, Tobin wirft seinen Ehering in ein Whiskeyglas: ganz simpel und ohne viel Aufhebens wird seine Situation klargemacht; zwei gleiche Notizbücher gibt es, eines in Afrika, eines in Silvias Wohnung. Verschiedene Parteien bereichern die Konstellation des Plots, da sind der Secret Service und die Polizei, Zuwanis Sicherheitsberater, gleich zwei Rebellen, die in Matobo gegen Zuwanie kämpfen, und ein geheimnisvoller Killer. In einer meisterhaften Sequenz treffen die Parteien aufeinander, in der Enge einer Busfahrt, das ist ein Höhepunkt des Films, des Thrillergenres insgesamt, wie hier verschiedenes ausgespielt, angedeutet wird, wie Fäden zusammenlaufen und neue Fäden gesponnen werden, reine Spannung in bester Hitchcock-Tradition.
Leider lässt der Film auch einige gefühlvolle Momente zu, zu gefühlvoll, hier lässt der Thrill nach, wenn Tobin, der Wächter, und Silvia, die Bewachte, an gegenüberliegenden Fenstern sich ansehend miteinander telefonieren, was fast eine Liebesszene wird, oder wenn er ihr zärtlich Blut aus dem Gesicht wischt und sich beide fast küssen wollen...
Doch dann gibt es wieder Szenen des Mysteriösen, der Paranoia, die den Film auffangen; und man merkt während des Sehens gar nicht, dass Silvia nie wirklich bedroht ist, dass damit eine Prämisse nur vorgeschoben, nur behauptet ist. Ein politischer Film, in dem Pollack auch ein Statement abgeben möchte für die Vereinten Nationen, für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagt und von den USA nicht anerkannt wird. Pollack interessiert sich für den Umgang mit Verlusten, mit Trauer, und wie wir reagieren, wenn der Täter vor uns steht. Würden wir ihn ertrinken lassen und mit ewiger Trauer leben wollen, oder würden wir sein Leben retten und auf vorschnelle Gerechtigkeit verzichten? Das ist ein Brauch im fiktiven Land Matobo, man hat immer die Wahl zwischen der Waffe und dem Wort. Damit bezieht Pollack Position in der derzeitigen politischen Debatte in Amerika, er schafft einen Film mit Haltung, das macht ihn altmodisch und hochaktuell.
Fazit: Spannender Thriller mit aktuellen politischen Bezügen, der sich aber manchmal zu sehr im Gefühlvollen verliert.