Hostage - Entführt: Intensiver und gut konstruierter Geiselnahmethriller mit Bruce Willis.
Wie aufmerksam Hollywood zur kreativen Selbsterneuerung den französischen Markt studiert, zeigt die Rekrutierung von Regisseur Florent Siri, der nach Jean-Pierre Jeunet („Alien 4“), Mathieu Kassovitz („Gothika“) und zuletzt Pitof („Catwoman“) sein US-Debüt gibt. Dabei bestätigt Siri auch bei einem kommerziellen US-Projekt seine Qualitäten als dynamischer, visuell einfallsreicher Filmemacher, inszeniert einen packenden Thriller, der neben Action auch mehr Verstand und Charakterdrama als das übliche amerikanische Explosivkino zu bieten hat.
Bereits die originelle und elegante Creditsequenz, in der man einen stilisierten räumlichen Überblick über die Szenerie einer Geiselnahme bekommt, in der Cast- und Crewnamen zu den düster-hypnotischen Klängen von Alexandre Desplat, Siris Stammkomponist, auf Häuserfronten oder auch Gewehrläufen ihren Platz finden, macht Hoffnung, dass hier nicht einer dieser austauschbaren Dutzendthriller sein Publikum sucht. Mit einem spektakulären Back-Zoom geht es weiter, zieht sich die Kamera aus einem Haus zurück, um den versammelten Polizeiapparat in der unmittelbaren Umgebung zu enthüllen.
Es ist der Schauplatz eines Geiseldramas, in dem Protagonist und Verhandlungsexperte Jeff Talley (Bruce Willis) als Mr. Cool eingeführt wird, der aber den Tatort nach einer Fehlentscheidung als traumatisierter Cop verlässt. Ein Jahr später hat sich Talley als Polizeichef in eine Kleinstadt zurückgezogen, muss sich erneut den Erinnerungen an seine fatale Fehlkalkulation stellen. Als drei Jugendliche in das Festungs-ähnliche, im Topanga-Canyon gelegene Haus eines Buchhalters eindringen, eskalieren die Ereignisse. Eine Polizistin stirbt, zwei Kinder und ihr Vater, ein Buchhalter (Kevin Pollak), werden als Geiseln festgehalten, ein Polizistenschwarm umstellt den Tatort.
Als das Drehbuch, eine Adaption eines Thrillers von Robert Crais, eine zweite Front eröffnet, nimmt das bis dahin relativ geradlinige Actiondrama an Originalität und Komplexität zu. Mächtige Männer im Hintergrund, für die der Buchhalter arbeitet, sehen ihre Geschäfte und ihre Anonymität gefährdet, wenn ein im Haus versteckter Datenträger in die Hände der Cops fällt. Sie bringen Talleys Familie in ihre Gewalt, zwingen den Cop, den Sturm auf das Haus zu verhindern, bis sie selbst die Situation in ihrem Sinne klären können. Diese Konstellation sorgt für zusätzliches Konfliktpotenzial, weil Willis gleichzeitig Gas geben und bremsen muss, weil er die Kinder im Haus, aber auch seine Familie retten muss, ohne sein Dilemma jemandem anvertrauen zu können.
Willis selbst war es, der Florent Siri nach Sichtung von dessen Actionthriller „Das tödliche Wespennest“ nach Hollywood holte. Der Franzose bedankt sich mit einem packenden Spannungsfilm, der mit düsterer Fotografie, einfallsreich gewählten Kameraperspektiven und einigen hochintensiven Szenen glänzt. Willis nimmt sich im Mittelteil des Films als Actionheld zurück, überlässt diesen Part dem kleinen Sohn des Buchhalters, der für ihn im Haus einen gefährlichen Spezialauftrag übernimmt. Die Glaubwürdigkeit überstrapaziert das Drehbuch dabei nicht. Nachvollziehbar entwickelt sich der Plot, während sich die Figuren im Rahmen der Situation oder ihrer geistig-emotionalen Kapazitäten verhalten. Überzogen wirkt allerdings Street-Punk Mars, das Zentrum des Bösen unter den jugendlichen Entführern. Ben Foster spielt ihn, als wären Michael Myers und Max Cady (De Niros Crazy aus „Kap der Angst“) gleichzeitig in ihn gefahren. Selbst Siri verliert bei diesem Kriegsgott jegliche Bodenhaftung, lässt ihn durch ein Flammenmeer schreiten und vor einem absurden Jungfrau-Maria-Tableau Erlösung finden. Man darf vermuten, dass es in die Hölle geht. kob.