Alles, was wir geben mussten: Science-Fiction-Thriller über drei Internatsschüler, die allmählich begreifen, dass es in der Einrichtung nicht mit rechten Dingen zugeht.
Romanek verfilmt Ishiguro: Was „Alles, was wir geben mussten“ hinter den Mauern eines britischen Schulheim entdeckt, lässt das Blut in den Adern gefrieren.
Was die Helden von „Alles, was wir geben mussten“ erleben, was sie fühlen, was sie spüren, das ist vertraut: Freundschaft, erste Liebe, Zukunftssorgen, Aufbruchsstimmung, das Bemühen, die Welt, in der man lebt, zu durchdringen - das kennt jeder aus der eigenen Jugend. Und doch sind Kathy H., die einfühlsame, zurückhaltende Erzählerin, ihre resolute, manipulative beste Freundin Ruth und der linkische Außenseiter Tommy, in den sich die beiden Mädchen verlieben, ja, überhaupt alle Kinder, die in dem auf den ersten Blick so idyllischen Schulheim Hailsham mitten auf dem Land aufwachsen, irgendwie… anders. Etwas stimmt nicht mit ihrer Welt, die so aussieht wie unsere, aber irgendwie heruntergekommen ist, marode, grau, baufällig, ungepflegt. So wie sich abblätternde Tapeten und löchrige Klamotten in die perfekten Bildkompositionen drängen, mischen sich zunächst schwer zu deutende Begriffe wie „Spender“ oder „Betreuer“ wie Fremdkörper in den Dialog. Man nimmt wahr, dass die Welt der Schüler an den Mauern und Zäunen rund um Hailsham endet, dass die Kinder isoliert von der Außenwelt sind, von ihren Erzieherinnen um die gestrenge Miss Emily stets angehalten, auf ihre Gesundheit besonders acht zu geben.
Als Zuschauer ist man noch zunächst desorientiert, weil Mark Romanek all das so beiläufig erzählt und nicht weiter vertieft, was er eigentlich schon in der allerersten Szene des Films klar ausspricht: Die Kinder von Hailsham sind geklont, einzig und allein als Ersatzteillager für kranke Menschen gedacht, wenn sie erwachsen sind - unausweichlich. Die Schule ist ein Menschenpark für Kinder, die nicht mehr sind als Material. Weil der Film über die Gefühls- und Erlebniswelt seiner Protagonisten erzählt wird, bleibt der Schrecken zunächst nebulös, zwischen den Zeilen entdeckbar - und er ist dann umso erschütternder, wenn den Figuren bewusst wird, dass ihre Zeit nun bald abläuft. Widerstand gegen das Unausweichliche regt sich erst, als sie erfahren, dass es angeblich eine Möglichkeit geben soll, einen Aufschub zu erlangen.
Romanek bebildert seine Verfilmung des meisterhaften Romans von „Was vom Tage übrig blieb“-Autor Kazuo Ishiguro aus dem Jahr 2005 exquisit, etabliert sein Universum als eine Welt im fortgeschrittenen Zustand des Zerfalls. „An Education“-Entdeckung Carey Mulligan und Keira Knightley spielen die ungleichen besten Freundinnen, die um die Avancen des von Andrew Garfield, in Kürze auch in „The Social Network“, gespielten Tommy buhlen. Erst zu spät erkennen sie, dass über ihre Existenz längst entschieden ist, ihr Leben bereits gelebt ist. Das ist harter Tobak. Romanek buhlt nicht um die Sympathien des Publikums, er nimmt den Zuschauer nicht an der Hand: Man muss die Welt dieses Horrorfilms ohne Monster, dieses Science-Fiction-Films ohne Fiktion selbst erkunden. Unterstützt von einem ökonomischen Drehbuch von Alex Garland, selbst ein angesehener Schriftsteller, füttert er die nötigen Informationen sorgfältig und bedächtig, bis sich die behutsam erzählte und beeindruckend visualisierte Geschichte schließlich in einem erschütternden Höhepunkt entlädt, in dem Fragen über die Seele und den freien Willen des Menschen angerissen werden.
Was dieser eigenwilligen und brillant konzipierten Geschichte, die immer auf ihre Hauptfiguren fokussiert bleibt und Hintergründe zum eigentlichen Klonvorgang komplett ausklammert, ein bisschen die Intensität raubt, ist der etwas aufdringliche Score: Die unentwegt anschwellenden Streicherklänge drohen bisweilen, den ohnehin finsteren Film unnötig zu überladen. Dass „Alles, was wir geben mussten“ trotzdem beklemmend nachwirkt, ist Zeugnis der Durchschlagskraft seiner allgemeingültigen Thematik: Kathy H. und ihre Freunde, sie haben ihren Platz sicher im Pantheon der großen tragischen Helden. Weil sie alles geben mussten. Was wörtlich zu nehmen ist. ts.