Herr Lehmann: Adaption des schrägen Romans über einen Kreuzberger Lebenskünstler, der beim Mauerfall seinen 30. Geburtstag feiert.
Herr Lehmann heißt eigentlich Frank, aber ob ihn das in seiner Karriere als Filmstar behindert, ist schwer zu sagen. Herr Lehmann lebt eigentlich in einem Buch, aber weil es ein Bestseller war, muss er jetzt raus von zu Haus. Was Herr Lehmann eigentlich überhaupt nicht mag. Christian Ulmen ist eigentlich MTV-Moderator, aber sehr überzeugend als Hauptdarsteller. Wenn er also die Relativierung durch „eigentlich“ überwindet, kann das auch für die anderen Einschränkungen gelten. Wie eben insgesamt auch für diese schrullige Milieu- und Typenbeschreibung, die eigentlich zu individualistisch wirkt, um ein Massenpublikum zu erreichen. Aber das durfte man eigentlich auch von Sven Regeners Buchvorlage erwarten, die dann trotzdem ein Riesen-Hit wurde.
Der Autor selbst adaptierte seinen Romanerstling für Regisseur Leander Haußmann, der mit „Sonnenallee“, seinem eigenen Debüt, einen Überraschungshit landen konnte. Trotz dieser Erfolgskoalition bleiben Fragezeichen, weil auch die Vorlage neben überwiegend begeisterten Fans auch einige Verweigerer fand, die überhaupt nicht mit der empfundenen Ereignislosigkeit und Normalität des Stoffs zurecht kamen. Als möglichst authentische Adaption ist auch der Film im Grunde weitgehend Plot-freie Zone, ist erfüllt von einer akribischen Milieu- und Typenbeobachtung, vor allem auch einem Lebens- und Zeitgefühl, das selbstbewusst Apathie und Individualismus feiert. Titelfigur Herr Lehmann lebt in Kreuzberg SO36, einem intimen Berliner Bezirk, dessen Koordinaten von Kneipen bestimmt werden. Herr Lehmann arbeitet hinter dem Tresen im „Einfall“, sein bester Freund Karl (Detlev Buck) in der gastronomisch etwas großzügigeren „Markthalle“, und schließlich gibt es da noch die Neueröffnung „Abfall“, in der so manches Becks vor der Sippenhaft im Kasten gerettet wird. Mit ganz eigener Körperhaltung, einem ganz eigenen Sprachrhythmus spielt Christian Ulmen diesen kauzigen Endzwanziger, der in der Bewegungslosigkeit sein Karma gefunden hat und über die banalsten Sachverhalte in absurder Weise philosophieren kann. Am liebsten mit Karl, der eigentlich Künstler ist, bald aber auch mit Köchin Katrin (Katja Danowski), die eigentlich Schweinebraten nicht um 11 Uhr morgens serviert, aber für Herrn Lehmann doch noch eine Ausnahme macht. Was dieser als Signal deutet, sich einer bisher unbekannten Aufbruchstimmung zu ergeben. So überwindet er sich erst eine Badehose, dann die Last einer Beziehung zu tragen, bis Katrin in dem Kneipentouristen Kristall-Rainer eine weniger reibungsintensive, unkompliziertere Alternative erkennt.
Ungeachtet einer gewissen Romantisierung der Trinkerkultur ist die Milieu- und Typenschreibung die große Stärke des Films, gefolgt von dem lakonischen Ton, der gleich in den ersten Bildern, einem Cinemascope-Showdown zwischen Herrn Lehmann und einem sturen Hund, eingeführt wird. Einen erstklassigen Eindruck hinterlässt das gesamte Ensemble, das bei aller Komik auch die melancholischen Untertöne nicht vergessen lässt. Nicht jedermanns Geschmack ist der verschleppte Erzählstil, der ungeduldige Zuschauer straft, aber auch die eingestreuten Popkulturzitate, von „Star Wars“ bis hin zu „Flucht ins 23. Jahrhundert“, die wie ein Fremdkörper wirken. Schließlich spielen in dieser Verklärung des Normalen andere Dinge eine wichtigere Rolle - wie etwa die Erkenntnis, dass der Kater beim Kristall-Weizen von der Zitrone kommt und der Elektrolytmangel der größte Feind des Trinkers ist. Am Ende dieser Berliner Geschichten fällt die Mauer und es wird spannend sein zu beobachten, ob die Mundpropaganda für diesen Film wirklich zu einem Ansturm oder zum Aufbau einer neuen Mauer führt. kob.