Harry Potter und der Gefangene von Askaban: Lang ersehnter dritter Teil der Harry-Potter-Saga, bei dem der Mexikaner Alfonso Cuaron ("Y tu mama tambien") die Regie übernahm.
Schöne Sache. Mit der Verfilmung des dritten „Harry Potter“-Romans von J.K. Rowling kann Warner den ersten Klassiker der Serie vermelden. Nach den eher pflichtbewussten ersten beiden Filmen setzt Alfonso Cuarons Adaption nun zum bislang vermissten Höhenflug der Fantasie an, vor allem weil der mexikanische Filmemacher das entsprechende visuelle Vokabular und Gespür für die Magie der Vorlagen findet. Der lyrischste „Potter“ ist auch der bisher komplexeste und düsterste Beitrag der Reihe, in dem es nur vordergründig um die Bedrohung des entflohenen Verräters Sirius Black geht, während er mit leichter, bestimmter Hand Themen wie Freundschaft, die Last der Vergangenheit und die Angst vor dem Erwachsenwerden streift.
In einer frühen Szene des Films wird Harry von dem Riesen Hagrid überraschend auf den Rücken eines Hippogreifs gesetzt, einer Mischung aus Pferd und Adler, der sich mit dem jungen Zauberer in die Lüfte erhebt, über die Weiten eines Sees schweift und dabei spielerisch seine Klauen im Wasser streifen lässt, während Harry im Vorübergleiten seine Reflektion in den Wellen sieht. Es ist der anmutigste, eleganteste und poetischste Augenblick, den eine „Harry Potter“-Verfilmung bislang hervorgebracht hat. Zu verdanken ist er Alfonso Cuaron, der mit dem unterschätzten „A Little Princess“ bereits vor neun Jahren sein Gespür für pure Filmmagie erkennen ließ. Seine Leidenschaft und Vision beflügeln hier sämtliche Beteiligte und treiben sie zu Höchstleistungen an. Waren die bisherigen Adaptionen funktionale und bisweilen grotesk überzeichnete Bebilderungen der Romane, entfaltet sich jetzt die Pracht des Potter-Universums in voller Bilderkraft, als Filmabenteuer, das sich zwar der Vorlage verpflichtet fühlt, aber auch auf eigenen Beinen stehen und bestehen kann.
Cuaron hat das Glück, dass „Der Gefangene von Askaban“ das gelungenste der Potter-Bücher von J.K. Rowling ist. Musste sie sich in den ersten Veröffentlichungen erst einmal vorsichtig in das selbst geschaffene Universum hineintasten, wirkt die Autorin hier erstmals traumwandlerisch sicher und selbstbewusst. Mühelos entfaltet sie den dramatischsten ihrer Plots, während die erwachende Pubertät ihrer Protagonisten allen Entwicklungen und Verstrickungen eine weitere Dimension verleiht. Auch ist es die düsterste Geschichte bislang. Cuaron zollt diesem Umstand gleich in den ersten Momenten seines Films mit einer insgesamt gedeckteren Farbpalette Tribut. Sofort etabliert er aber auch einen filmischeren Ansatz als sein Vorgänger Columbus und ein fast unschlagbares Gespür für visuelle Komposition. Wie von selbst erhalten die Abenteuer Harrys im dritten Jahr an der Zauberschule Hogwarts zusätzliches Gewicht. Durch den Gänsehaut erregenden Auftritt der Dementoren wird es noch erhöht: Die seelenlosen Gefängniswärter von Askaban, die alles in ihrem Umfeld gefrieren lassen und wie Dämonen in einem Terry-Gilliam-Film wirken, suchen nach Sirius Black. Er gilt als Verantwortlicher für den Tod seiner besten Freunde, den Eltern von Harry, die er dem bösen Voldemoort zugespielt haben soll. Nun macht er Jagd auf den Zauberlehrling. Doch nicht nur die bedrohliche Aura Blacks weckt in Harry das Bedürfnis, mehr über seine Eltern zu erfahren. Mit Remus Lupin tritt als neuer Lehrer ein weiterer einstiger Freund der Potters auf den Plan, der zu Harrys väterlichem Freund wird. Wenn Lupin dem Jungen unter vier Augen mit großer Zuneigung von seinem Vater erzählt, stellt sich eine emotionale Sogkraft ein, die die „Potter“-Filme vormals vermissen ließen.
Gleichzeitig lässt Cuaron keine Gelegenheit aus, das Aufkeimen des Erwachsenseins von Harry und seinen Freunden Ron und Hermine zu thematisieren. Das beginnt zunächst augenzwinkernd mit der Szene, in der Harry unter der Bettdecke mit seinem Zauberstab spielt, spielt aber alsbald eine bedeutsame Rolle: Immer wieder fordert das Drehbuch von Steve Kloves rebellischen Sturm und Drang ein, von dem schelmischen „Missetat begangen“, mit dem man die Tinte einer Landkarte unsichtbar machen kann, bis zum letzten euphorischen Satz des Films, der Harry und die Zuschauer animiert, „Tunichtgute“ zu sein. Die Grenzen des Mainstreams loten die Filmemacher auch mit dem Showdown aus, der diesmal nicht in überlautem Bombast versinkt, sondern - der Vorlage entsprechend - auf eine faszinierende Zeitreise setzt, in der Harry sich selbst begegnet.
In diesem neuen filmischen Kontext erhalten die Schauspieler jede erdenkliche Freiheit zu glänzen. Besonders Daniel Radcliffe offenbart eine emotionale Tiefe, die man bislang nur ahnen konnte: Erstmals ist er ein beinahe tragischer Held, dem nicht mehr alles von allein zufällt. Hier muss er kämpfen. Und er kann froh sein, eine Emma Watson als Hermine an seiner Seite zu haben, die für ihren Freund sogar die Zeit zurückdreht. Fulminant ist auch die Leistung von David Thewlis als Lupin, während Gary Oldman als Sirius Black ein Maximum aus seiner minimalen Zeit auf der Leinwand herausholt.
Der eigentliche Star des Films aber ist sein Regisseur: Wie Alfonso Cuaron Fantasy und Realismus fusioniert, wie er mit grenzenloser Imagination und perfekten Effekten dafür sorgt, dass immer irgendwo auf der Leinwand etwas los ist, wie er Grusel mit leichten Momenten ausbalanciert, das ringt Respekt ab. Elegant lässt er seinen „Harry Potter“ schweben, wie auf den Schwingen eines Hippogreifs, dessen Fänge den Boden nur ganz leicht berühren. ts.