Kill Bill Vol. 1: Quentin Tarantinos lang erwartetes Rache-Epos, in dem Killerin Uma Thurman Vergeltung an ihrem Ex und seiner Gangstervereinigung übt.
Der vierte Film von Quentin Tarantino. Sechs Jahre nach „Jackie Brown“ und als direkte Antwort auf die wehmütige, um Realismus bemühte Charakterstudie von 1997 zu sehen. Wie ein Yin zum Yang des Vorgängers explodiert „Kill Bill“ mit seiner simplen Rachegeschichte in einem regelrechten Rausch aus Pulp Fiction, aus Farben und Bewegung und huldigt dem Genrekino der 70er Jahre, das Tarantino in seiner Jugend in den Schmuddelkinos von L.A. aufsog. Aus zahllosen Zitaten, Referenzen und Verweisen hat Amerikas enthusiastischster Filmfan einen einzigartigen, völlig kompromisslosen Actionfilm jenseits genormter Erfolgsformeln zusammengesetzt, in dem Uma Thurman im Bruce-Lee-Outfit die vielleicht beste, aber ganz gewiss körperlichste Rolle ihres Lebens spielt.
Revenge Movies: Blaxploitation, Eastern, Gialli, Vigilantenfilm, Samurai-Movie, Spaghettti Western. Die von künstlerisch ambitionierten Kritikern stets müde belächelten Bastarde des Mediums Film hat sich Quentin Tarantino als Quelle genommen für diese Brautschau, die sich rein über Bewegung, Farben und Aktion definiert. Vom Geist von Django und Dirty Harry, von Eastwood, Bronson und Bruce Lee, von vergessenen asiatischen Filmgrößen wie Chang Cheh, Kinji Fukusaka und Seijun Suzuki ist „Kill Bill“ beseelt, bei dem der Filmemacher über das bloße Zitieren und Verbeugen weit hinausgeht. Sein Film, der aussieht, als hätte Vincente Minnelli den radikalsten Martial-Arts-Film aller Zeiten gedreht, ist ein förmlicher Bausatzkasten: Jede Szene der denkbar simplen Rachegeschichte über eine ehemalige Killerin, die hochschwanger am Tag ihrer Hochzeit von ihrem ehemaligen Liebhaber und Boss Bill („
Kung Fu„-Star David Carradine ist in „Vol. 1″nur zu hören und schemenhaft zu sehen) sowie ihren ehemaligen Kollegen der Deadly Viper Assassination Squad vermeintlich über den Jordan geschickt wird, vier Jahre später aus dem Koma erwacht und eine Vendetta anzettelt, wie man sie im Kino noch nicht gesehen hat, besteht immer gleich auf mehreren Ebenen aus Bestandteilen alter Filme.
Als Art Anthologie des amerikanischen Grindhouse-Cinema ist Tarantinos visionärer Raubzug durch Bilder- und Soundwelten anderer Filmemacher gestaltet. In einzelnen Kapiteln mit entsprechenden Titeln und zeitlich versetzter Anordnung entfaltet sich die Story der Braut. Jeweils wird dabei einem anderen Stil gehuldigt: Das Intro in der Kirche, in der Bill der Braut das Licht ausknipst, ist dem Spaghetti-Western verpflichtet. Der unmittelbar danach folgende, sehr harte Kampf der Heldin mit Vivica A. Fox huldigt der Blaxploitation, eine Krankenhausszene mit Daryl Hannah erinnert an den italienischen Giallo. Danach gibt es eine wilde Anime-Sequenz, die den Werdegang der Widersacherin O-Ren Ishii, gespielt mit dem nötigen Püppi-Charme von Lucy Liu, vom unschuldigen Mädchen zur gefürchteten Yakuza-Chefin verfolgt. Der Rest des Films steht in der Tradition des japanischen Samurai-Kinos. „Streetfgither“-Legende Sonny Chiba hat einen Gastauftritt als legendärer Schwertmacher, und dann folgt auch schon der 20-minütige Showdown in dem einmalig designten Haus der Blauen Blätter, in dem die hinreißende Uma Thurman im Bruce-Lee-„Mein letzter Kampf“-Outfit eine Horde von Schergen im Bruce-Lee-„The Green Hornet“-Outfit gegenüber steht. Und während die Bösewichte im Dutzend im sprühenden Blutregen zu Boden gehen, spielen James Last, Georghe Zamfir und schließlich auch noch Santa Esmaralda.das Lied zum Tod.
Kino in seiner pursten Form erlebt man da, ohne Kompromiss, ganz und gar einer singulären Vision verschrieben. Von Realismus keine Spur: Hier erweckt Tarantino die Filmwelt zum Leben, über die seine Figuren in seinen bisherigen Arbeiten immer so gerne geredet haben. Aber er zeigt all das so, als würde es in einer Art stilisierter Realität stattfinden. So ist sein Film gleichzeitig immer Kino, Reflektion über Kino und Verbeugung vor den Vorbildern. Ins Stocken gerät das atemberaubende Geschehen tatsächlich nur, wenn Tarantino sich verpflichtet fühlt, ab und an seine typischen Dialoge einzuflechten, die in diesem Wirbelsturm der Stilisierung wie Fremdkörper wirken. Im in vier Monaten folgenden „Vol. 2“ soll dann nach Angaben des Filmemachers mehr Zeit zum Gespräch (und Hommagen an den Italo-Western und das Hongkong-Kino) bleiben. Das will man jetzt schon nicht mehr abwarten - und die nachvollziehbare, aber nicht ideale Entscheidung, den ursprünglich dreistündigen Film zweizuteilen, erst recht verdammen. Weil „Kill Bill“ so gut ist. ts.