Bei Sofia Coppola geht es immer wieder darum, dem langweiligen Alltag zu entkommen. Da geben sich ein paar Jungs Fantasien mit den jungfräulichen Nachbarkindern hin, ein alternder Schauspieler zieht mit einer jungen Bekannten durch ein feindliches Tokio, und jetzt sucht Marie Antoinette einen Ausweg aus dem strengen Protokoll des Versailler Hofes, der den Wünschen und Träumen eines Teenagers keine Freiheit lässt.
Fortgerissen aus Wien steckt sie in der steifen Ritualisierung des Lebens in Versailles fest, mit 14 hat sie den 16jährigen französischen Thronfolger heiraten müssen, der nichts mit ihr anzufangen weiß, und sie gibt sich der Dekadenz hin: Kleidung, Schuhe, Frisuren, Glücksspiel und extravagantes Essen geben den Anschein von Erfüllung in einem unerfüllten Leben. Sofia Coppola sieht Marie Antoinette, ein Symbol der Verschwendungssucht und der Entartung des Adels, als Gefangene ihrer Umgebung, das ganze Geldausgeben, die Extravaganz und Dekadenz waren eine Reaktion auf all die schrecklichen Dinge, die ihr zugestoßen sind und nicht ihr Verschulden waren, sagt die Historikerin Antonia Fraser, auf deren Buchvorlage der Film zurückgeht.
Konsequent bleibt Coppolas Regiekonzept bei Marie Antoinette, die kein Privatleben hat, sondern als Allgemeinbesitz Frankreichs angesehen wird. Ihr Refugium ist der Konsum, Tausende von Francs werden für ihre Launen, aus Langeweise geboren, ausgegeben ein apologetischer Ansatz des Films, der ihr jedwede Zerstreuung zugesteht, weil sie sich in einer feindlichen Umwelt bewegen muss. Später dann zieht Marie Antoinette mit ihren Kindern auf ein Landschloss, genießt das Landleben zwischen Schafen und Hühnern. In pastoraler Umgebung liest sie Rousseau, seine Thesen von der verderbenden Wirkung der Zivilisation und vom Gedanken des Zurück zur Natur. Ausgerechnet Rousseau, einen Vordenker der Aufklärung und damit der kommenden großen Revolution: hier verliert der Film seinen letzten Hauch von historischer Glaubwürdigkeit.
Freilich wollte Coppola keinen Historienfilm machen, sondern mit der Brille des Pop auf eine Figur der Vergangenheit blicken; doch auch ein Popfilm ist dies nicht geworden. Auf dem Soundtrack wechselt sich klassisches mit modernen Poprockstücken ab, doch diese Behauptung von Hipness wird in den Bildern bestenfalls andeutungsweise verifiziert. Kleidung, Frisuren und Schuhe sind zweifellos von Coppola stilisiert inszeniert, doch in einer Ära, die die Stilisierung zum Modeprinzip erhoben hat, stechen diese zeitgenössischen Popmythen für heutige Augen nicht heraus, was damals als modern galt, kann heute keine Wirkung mehr entfalten. Und die Idee, Marie Antoinette ein menschliches Gesicht mit jugendlichem Charakter zu geben: dazu bedarf es dann doch mehr als einer kichernden Kirsten Dunst in pompöser Umgebung. So bleibt der Film auf halber Strecke zwischen Wollen und Vollbringen stecken vielleicht auch, weil das Versailler Schloss, wo Coppola weitestgehende Drehfreiheit hatte, zu sakrosankt ist, um die Kulisse für einen hippen Popfilm abzugeben.
Sicherlich aber liegt das Problem des Films ganz einfach daran, dass in der Blase, in der Marie Antoinette abgehoben von der wirklichen Welt lebt, eben doch rein gar nichts passiert und dass wir als Zuschauer wegen der Abgehobenheit auch immer draußen bleiben. Die Unzufriedenheit eines Volkes, das der Film nie zeigt, wird am Hof nie zur Kenntnis genommen. So dass der Zuschauer keinen Standpunkt hat, an den er sich halten könnte: Marie Antoinette bleibt zu fern, die Wirklichkeit ihrer Zeit zugleich ausgeschlossen aus dem Film; und der Versailler Hof distanziert durch seine strengen Zeremonien, die nur manchmal als hohle Rituale lächerlich gemacht werden.
Lost in Translation war die atmosphärische Gestaltung von Langeweile, Marie Antoinette aber ist die langweilige Gestaltung von Atmosphäre.
Fazit: Sofia Coppola will die Folie des Pop über das Leben von Marie Antoinette legen doch jeder Zauber fehlt.