Mit der Verfilmung des Romans von Nobel-Preisträger José Saramago ist Fernando Meirelles ein packendes Gesellschaftsdrama gelungen. Eine ge-heimnisvolle Epidemie befällt die Menschheit: Die plötzlich herein-brechende „Weiße Blindheit“ aus dem Nichts, die hoch ansteckend ist. Aus Angst vor der fortschreitenden Erblindung der Welt werden die Betrof-fenen in Quarantäne gesperrt, und die Situation gerät außer Kontrolle. Der Mensch als des Menschen Untergang. Ein Film über die Abgründe menschlicher Existenz. Allein die überzeugende Darstellung der Blindheit Hunderter Leute ist eine heraus-ragende Meisterleistung. Der gesamte Film spielt mit dem Sichtbaren und besticht mit einer Ästhetik, die deutliche Elemente dieser Krankheit aufweist. Die niedrige Farbintensität sowie der hohe Kontrast in den Bildern vermitteln die Bedrückung und persönliche Betroffenheit der Personen. Die Horrorvision einer labilen Gesellschaft am Rande des Aussterbens ist perfekt: erschütternd, fesselnd, großartig und am Ende überraschend.
Jurybegründung:
In einer Megacity bricht eine unheimliche Krankheit aus und befällt in kürzester Zeit zahlreiche Menschen: Sie erblinden von einer Sekunde auf die andere, sehen nur noch weißes Licht. Es scheint eine Epidemie zu sein. Ohne weitere Versuche einer Heilung oder Erforschung werden die Erkrankten in den Gebäuden einer verlassenen psychiatrischen Anstalt isoliert, unter ihnen ein Arzt, der den ersten Kranken behandelt und sich angesteckt hat. Seine Frau geht mit ihm in das Lager, will ihn nicht allein lassen. Als Einzige wird sie nicht von der Krankheit befallen: Sie kann sehen. Mit der Zeit kommen immer weitere Blinde dort an, und der anfängliche Versuch des Augenarztes, das Chaos demokratisch zu organisieren, misslingt auch aufgrund mangelhafter Versorgung der Kranken.
Die Außenwelt tritt nur noch in Gestalt bewaffneter Soldaten in Erscheinung, die sich selbst vor Ansteckung fürchten. Unter den erdrückenden Verhältnissen bricht sich das Böse Bahn. Die Abgründe menschlichen Verhaltens gewinnen die Oberhand, und schließlich verliert auch die einzig Sehende, die Frau des Arztes, die bemüht ist, die größten Katastrophen zu verhindern, ihren Einfluss. Als es zum finalen Kampf zwischen den Allianzen kommt, überlebt eine kleine Gruppe um die Frau des Arztes.
Die Stadt der Blinden schildert alle diese Vorgänge mit einer eigenen Bilderwelt. Die Farben entsättigt, im Halbdunkel, Schatten in den Gesichtern, diffuses Licht als eindringliches Stilmittel geben dem Film seinen Charakter und setzen die Stimmung kongenial um. Nichts ist, wie es war: Der Abgrund der menschlichen Niedertracht scheint keinen zu verschonen, nur die Frau des Arztes überstrahlt alle Unmenschlichkeit. Sie ist die Lichtgestalt, der rettende Engel. Die Ereignisse und Machtverhältnisse pervertieren die menschliche Natur.
Regie und Kamera entsprechen dieser Entwicklung durch düstere, magische Bilder, die mehr ahnen lassen, als sie deutlich zeigen. Das schier unerträgliche Grauen verdichtet sich in der Phantasie des Betrachters. Mit dieser Inszenierung gelingt es dem Film, das Thema gleichzeitig zu intensivieren und zu abstrahieren. Religiös anmutende Motive lassen an die Filme Pasolinis denken. Auch die musikalisch reduzierte Begleitung verstärkt die Wirkung der Bilder.
Der Schluss des Films überrascht um so mehr, denn hier lässt der Regisseur den Zuschauer zur Ruhe kommen, sogar Hoffnung schöpfen, dass die Überlebenden eine Chance haben. Diese Wendung wirkt überzeugend: nicht gesucht, sondern selbstverständlich.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)