Der belgische Regisseur und Drehbuchautor Jaco Van Dormael legt mit Mr. Nobody ein 138-minütiges, schwer zu entwirrendes Werk über Entscheidungen, Zufall und ähnliche philosophische Themen vor. Weil der Off-Erzähler vor seiner eigenen Geburt beginnt, weil Nemo als eingefrorener Passagier auf den Mars kommt, weil er auf der Erde trotzdem verschiedene Leben führt und weil der 118-Jährige schließlich lachend erlebt, wie die Zeit zurückläuft, kann man diesen Film wohl am ehesten als Träumerei verstehen.
Jared Leto als erwachsener Nemo verkörpert die Antworten auf die Was wäre wenn-Fragen, die schon den neunjährigen Jungen auf dem Bahnhof überforderten. Es dauert anscheinend tatsächlich über 100 Jahre, bis Nemo erkennt, für wen oder was er sich am liebsten entschieden hätte, aber dennoch behauptet er, dass alle seine Lebensvarianten es wert waren, ausprobiert zu werden.
Der Einfall, dass ein ungeborener Junge sich die künftigen Eltern bei einem Vorstellungsgespräch aussucht, ist charmant. Doch Nemos Glück mit ihnen währt nur neun Jahre: Dann verliebt sich die Mutter in den Vater von Anna, einem Mädchen aus Nemos Schule. Die Trennung mit der herzzerreißenden Entscheidung, die sie Nemo am Bahnsteig abverlangt, lässt ihn künftig alle möglichen Wege in seinem Leben so und noch mal anders und dann wieder um die Ecke gehen, sie sogar manchmal verwerfen. Als Jugendlicher, der bei der Mutter lebt, verliebt er sich in Anna, nur um sie bald zu verlieren, weil seine Mutter und Annas Vater wieder auseinandergehen. Juno Temple und Toby Regbo spielen bezaubernd als 15-jährige Verliebte, während Diane Kruger als erwachsene Anna die meiste Zeit durch widrige Umstände, Zufälle und dergleichen, von Nemo getrennt bleibt.
Sarah Polley als Elise und Linh-Dan Pham als Jeanne leben zwar längere Zeit an Nemos Seite und haben Kinder mit ihm, aber glücklich werden sie dabei nicht. Die depressive Elise bleibt in jemand anderen verknallt und Jeanne stellt fest, dass Nemo immer irgendwie abwesend ist. Das scheint auch das Dilemma der ganzen Geschichte zu sein, denn der Mr. Nobody, wie sich Nemo nennt, bleibt emotional unentschlossen. Was soll das bedeuten? Dass man sinnvolle Entscheidungen im Leben nur trifft, wenn man mit dem Herzen dabei ist? Dass man gar nicht richtig lebt, wenn man sich unter Zeitdruck entscheidet oder dass man oft gar nicht richtig beurteilen kann, wohin der Weg noch führen wird, den man eher zufällig eingeschlagen hat?
Trotz schöner Montagen und den fantasievollen Wendungen in die Science Fiction stellt sich auch Langeweile ein, denn die verschiedenen Handlungsverläufe sind sehr luftig verknüpft, ohne einen roten Faden. Es ist auch vom Schmetterlingseffekt die Rede und ein im Wind fliegendes Ahornblatt taumelt immer wieder durch den Film und löst wichtige Ereignisse aus. Wie man sich auch entscheidet, es könnte falsch sein und schönere Wege ein für alle Mal ausschließen, doch Nemo, der Unentschlossene, erscheint nicht als Vorbild. Die Fragen und Rätsel, die der Film aufwirft, sollten am besten in geselliger Runde danach diskutiert werden.
Fazit: Zu lang, zu unschlüssig, zu ambitioniert für einen Film: Ein Mann probiert verschiedene parallele Lebenswege aus.