Aviator: Episches Porträt des Flugpioniers und Filmmoguls Howard Hughes, das erneut Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio zusammenführt.
Die Gang of New York ist zurück - und ihr neues Revier ist Hollywood. In den Spotlights von Premieren, im Partysog der Nightclubs und in der Prachtarchitektur des Zelluloidadels, entfalten Martin Scorsese, seine von Leonardo DiCaprio angeführte Starbesetzung und Topkünstler aus Scorseses Kreativteam ein opulentes Porträt des Visionärs, Milliardärs und Frauenhelden Howard Hughes, das auch in intimen Momenten Glanzpunkte setzt. Überzeugend als Bilderbuch, Persönlichkeitsstudie und Liebeserklärung an das Goldene Zeitalter von Tinseltown, löscht dieser Big-Budget-Howard die schlechten Erinnerungen an eine gleichnamige lahme Ente und verdient die Umarmung eines großen Publikums.
Wie schon bei der „Alexanderschlacht“, aus der sich Scorsese zurückzog, konkurrierten hier mehrere Projekte miteinander, darunter von Christopher Nolan, Michael Mann (der Regie und Star an Scorsese abtrat und nur noch als Produzent auftritt) und von Warren Beatty, der als Idealbesetzung vor Jahrzehnten bereits ein Drehbuch schrieb, dann als legendärer Zögerer aber die Produktion so lange vertrödelte, bis Falten den jungen Hughes unerreichbar machten. Auf diesen aber konzentriert sich John Logans Drehbuch, das einen Zeitraum von 20 Jahren abdeckt und 1947 mit Hughes letztem öffentlichen Großauftritt endet. So spannend auch die folgenden 30 Jahre gewesen wären, in denen Hughes Fox-Star Jean Peters zur Frau nahm, obwohl er bereits heimlich mit RKO-Starlet Terry Moore verheiratet war und er sein Imperium als exzentrischer Einsiedler leitete, interessiert sich Scorsese nicht für das Skandalöse, sondern die Leistung - und als wandelnde cineastische Enzyklopädie natürlich auch für die Glanzzeit Hollywoods.
Nach einem verstörenden Opening aus Hughes‘ Kindheit, mit dem Scorsese sehr verkürzt den späteren Paranoiker und Phobiker erklärt, aber in der Kontrastierung von Mensch und Raum auch ein Monument von Orson Welles zitiert, steigt man mit den Dreharbeiten zum extrem teuren Regieerstling „Hell’s Angels“ mitten in das Leben des 22-jährigen Millionenerben ein. Hier zeigt sich der Pionier, der Außenseiter, der das System herausfordert, aber auch die Eitelkeit eines Mannes, der Sternberg toppen will, im Unterschied zu ihm aber wenigstens sein eigenes Vermögen verschwendet. Als Hughes seine Fluggesellschaft gründet, rückt Hollywood, von einem kleinen Exkurs zum Western „Geächtet“ abgesehen, in den Hintergrund. Der kalifornische Harem, in dem der Frauenmagnet wilderte, aber bleibt präsent. Scorsese beschränkt sich auf Faith Domergue, die Hughes als 15-Jährige kennen lernte, auf Ava Gardner (Kate Beckinsale), die mit Hughes zwischen oder auch während ihren Ehen mit Mickey Rooney und Artie Shaw Stop-and-Go-Affären hatte, und Hughes große Liebe Katharine Hepburn, die Cate Blanchett lebhaft, in eigenwilliger Theatralik, witzig und auch sensibel verkörpert.
Thematischer Schwerpunkt ist aber Hughes‘ Rolle als Flugpionier, der Geschwindigkeitsrekorde aufstellte, der mit der TWA die Monopolstellung von Pan Am zu brechen versuchte, der von korrupten Politikern sabotiert wurde und von neuen Maschinen nicht nur träumte, sondern sie mit dem ihm eigenen Perfektionismus auch entwarf und bauen ließ. Von den ersten Bildern an untermauern Scorsese, Kameramann Robert Richardson und Produktionsdesigner Dante Ferretti ihren Anspruch, hier ein Porträt von Format auf die Leinwand wuchten zu wollen. Dank dieser Koalition ist „Aviator“ eine Sehenswürdigkeit: prachtvolle Totalen von Filmpremieren, dynamische Nightclubszenen, eine Notlandung im surreal blaugrauen Gemüsefeld, Glamourfotografie und Zitate aus der Technicolor-Ära, ein spektakulärer Crash mitten in Beverly Hills, Alec Baldwins traumhaftes Pan-Am-Büro, aber auch die Sequenzen, die den Absturz des Fliegers, seine Deformation zum paranoiden Sonderling zeigen, dessen Angst vor Keimen zwanghaft und dominant wird. Diese Szenen verleihen der anfangs schwerelosen Aufsteigerbiographie wichtiges Gewicht, lassen DiCaprio stärker in den Vordergrund treten, der dank Make-up, Outfit und Ausleuchtung Hughes immer ähnlicher wird, ihn auch als gequälte Seele begreifbar macht. Nicht zuletzt dank DiCaprio ist „
This Boy’s Life“ mehr als nur großes Augenkino. kob.