Das Phantom der Oper: Opulente Verfilmung von Andrew Lloyd Webbers Musicalhit, die keinen Fan enttäuschen wird.
18 Jahre nach der Bühnenpremiere in London treibt die Renaissance des Filmmusicals auch diese scheue Kreatur ins Kino. Andrew Lloyd Webbers opernhafte Musik eroberte in Koalition mit einer hochromantischen Lovestory die Welt, erreichte allein auf ihren deutschen Stationen Hamburg und Stuttgart über acht Millionen Zuschauer. Würde Kino hierzulande wie das Theater als Kulturerlebnis begriffen werden, stünde einem vergleichbar großen Hit nichts im Wege. So aber gilt es, die Fans mit einer werktreuen Adaption zu mobilisieren, die mit den Stimmen der Musicalprofis Jana Werner und Uwe Kröger synchronisiert, aber auch in der starken Originalfassung zum Einsatz kommt. Dabei zeigen beide Versionen in den entscheidenden Szenen, in der durch die Kameranähe bedingten größeren Intimität der Figuren, wie das Kino über das Theater triumphieren kann.
Kontakt zu den Gefühlen ist entscheidend bei einem solchen Stoff, der gefährdet ist, vom Prunk der Ausstattung erdrückt zu werden. So kommt der Kamera, die Regisseur Joel Schumacher agil über das Opernset gleiten lässt, große Bedeutung zu. Denn sie zeigt Nuancen, die keine Bühne leisten kann, macht sichtbar, was im Theater jenseits der Frontreihen nur erahnt werden kann. Die Veränderungen gegenüber der Vorlage sind minimal. So sieht man jetzt in einem Rückblick das frühe Leiden des Phantoms und in einem sinnvollen Epilog ein Symbol für seine den Tod transzendierende Liebe. Wie das Musical beginnt der Film mit einer Auktion, in der Gegenstände der längst vom Staub der Zeit begrabenen Pariser Oper versteigert werden. Als der berühmte Kronleuchter zum Verkauf kommt, wird eine vergangene Welt eindrucksvoll wiedererweckt, reist man zurück ins Jahr 1881. Gerade hat die Pariser Oper zwei neue Direktoren erhalten, die als clowneskes Duo Kontrast zu den düsteren Vorgängen bieten. Unterstützt vom jungen Mäzen, dem Grafen Raoul de Chagny (Newcomer Patrick Wilson), verstehen sich die Neulinge als künstlerische Leiter des Hauses. Tatsächlich aber hält das geheimnisvolle Phantom, das unentdeckt in den Katakomben unterhalb der Oper sein Reich der Finsternis geschaffen hat, die Fäden in der Hand. Bedroht Mitarbeiter, sabotiert Vorführungen und erreicht schließlich, dass zur Premiere einer neuen Inszenierung nicht Haus-Diva La Carlotta (die Britin Minnie Driver als Karikatur einer uritalienischen Furie), sondern das junge Chormädchen Christine die Hauptrolle spielen darf. Christines „Think of me“ ist eine überzeugende Initiation, erobert den Zuschauer des Films wie auch den Geist der Oper. Mit glasklarer filigraner Sopranstimme führt sich Emmy Rossum - äußerlich ein Jennifer-Love-Hewitt-Typ, gesanglich eine Reminiszenz an Shirley Jones, Hollywoods Musicalstar der Fifties - zauberhaft ein, bewältigt auch die emotionalen Anforderungen dieser Schlüsselrolle und lässt Sara Brightmans nasale Knödelarien aus den Achtzigern völlig vergessen. Nach dieser Eröffnung hat Christine einen alten und neuen Bewunderer - das Phantom, das sie ins Zentrum seiner gequälten Seele zu ziehen versucht, und Raoul, der sie als Jugendliebe wiedererkennt. Zwischen diesen Polen, zwischen Dunkelheit und Licht, Leidenschaft und Blässe, wird Christine hin- und hergerissen. Das Phantom (Gerard Butler, Lara Crofts Ex in „Tomb Raider 2“) lockt die Unschuld in seine Grotte, vorbei an Gängen mit belebten Leuchten (Jean Cocteau), verführt sie mit „Music of the Night“, lässt sie aber in ihre Welt zurück, als sie ihm die Maske vom Gesicht zieht. Fortan ist das Phantom, im Grad seiner Entstellung ein monster light, Christines Schatten und reagiert mit Gewalt, als sich seine Hoffnungen nicht erfüllen. Alle Hits des Musicals, darunter der Titelsong und „Point of no return“, finden sich auch in dieser Verfilmung. Sicher sind die Webberharmonien, die sich leicht variiert durch alle seine Erfolge ziehen, nicht jedermanns Geschmack, wie auch der atmosphärisch-musikalische Bombast. Auch wäre eine um ein paar Nummern entschlackte Version vorstellbar, damit der Film, konzentriert auf das Wesentliche, das Tempo forcieren kann. Trotzdem ist „Das Phantom der Oper“ eine überzeugende Adaption, loyal gegenüber der Vorlage und ihren Fans, und dabei vor allem in der Schlusssequenz von solcher Leidenschaft erfüllt, dass Infizierte beginnen werden, Arien zu schmettern, wenn auf der Leinwand alles verstummt. kob.