Das Positive einmal vorneweg: Mit Ich bin die Andere hat sich Margarethe von Trotta von ihren etwas biederen, oft boshaft als Studienratskino verschrienen, Filmen verabschiedet. Dass sie jetzt allerdings gleich David Lynch nacheifern will ist vielleicht keine so gute Idee.
Ich bin die Andere, entstanden nach einem Roman des 2004 viel zu früh verstorbenen Drehbuchautors Peter Märtesheimer, der unter anderem für die Drehbücher von Rainer Werner Fassbinders Lola, Die Ehe der Maria Braun und Die Sehnsucht der Veronika Voss verantwortlich zeichnete, will viel sein: großes Melodram, spannender Thriller, Familiendrama und Verwirrspiel um eine gespaltene Persönlichkeit zugleich. Diese Elemente unter einen Hut zu bringen ist der Regisseurin freilich nicht immer gelungen. Zu oft gleiten die vermeintlich großen Gefühle ins unfreiwillig Komische ab, als dass man die Figuren noch ernst nehmen könnte. Und selbst wenn man annimmt, es ginge von Trotta gar nicht um Realitätsbezug, sondern um die Steigerung des Melodrams ins Übersinnliche, dann fehlt diesem Konzept die Radikalität, bleibt die Überhöhung fragmentarisch.
Was den Film jedoch trotz aller kruden Genre-Mischungen sehenswert macht, ist seine visuelle Stärke. Am Anfang gleitet die Kamera die Naht eines roten Kleides entlang, visuelle Insignie der Carlotta, auf Details versessen nähert sie sich Katja Riemann, die in der Badewanne liegt, zeigt hier einen Fuß, da den Kopf, und deutet schon zu Beginn die Vielfältigkeit der Person, die Vielzahl ihrer Persönlichkeiten an. Farblich perfekt durchkomponiert sind diese ersten Einstellungen, klar und kalt, als würde die Welt nur aus schwarz und weiß, gut und böse bestehen. Und zwischen diesen beiden Welten hin- und hergerissen Carlotta/Caroline in ihrem roten Kleid, leidenschaftlich und gefährlich.
Ganz anders die Welt ihrer Familie, das Weingut, auf dem Caroline aufgewachsen ist, der Ort, an dem die Ursachen für ihr mysteriöses Verhalten zu suchen sind. Wunderbare Landschaftsaufnahmen der Weinberge, die über dem Rheintal thronen, stehen im Widerspruch zu der eisig-aggressiven Atmosphäre, die auf dem Landgut herrscht. Die Familie Armin Müller-Stahl als Vater, Ex-Bondgirl Karin Dor als alkoholkranke Mutter, ein verführerisches Dienstmädchen und ein stummer Diener, der sich die Zunge abgebissen hat könnte einem Film von Claude Chabrol entsprungen sein (nicht umsonst läuft in einer Szene im Fernsehen Der Schlachter). Und tatsächlich: hinter der gutbürgerlichen Fassade verstecken sich Intrigen und schreckliche Geheimnisse.
August Diehl beweist einmal mehr, dass er einer der besten Schauspieler ist, den das deutsche Kino gerade zu bieten hat. Er überzeugt restlos als erfolgreicher, aber naiver Ingenieur Fabry, der in dieses Beziehungsgeflecht hineingerät und der unergründlichen Caroline verfällt. Katja Riemann als Carlotta/Caroline hingegen ist schlicht eine Fehlbesetzung. Als knallharte erfolgreiche Anwältin würde sie noch gut durchgehen, doch die tritt gerade mal in einer Szene auf. Alles andere ist einfach nur peinlich. Weder vermittelt sie auch nur ansatzweise, welche Faszination eine schlecht geschminkte, alternde Prostituierte in schlecht sitzendem roten Kleid auf einen jungen Mann in einer glücklichen Beziehung ausüben kann, noch nimmt man ihr das verhuschte, verletzliche Mädchen im Blumenkleid ab, das alles tut, um ihren Vater glücklich zu machen. Um diese enorme Fallhöhe glaubhaft zu meistern, braucht es mehr als nur zwei, drei ewig gleiche Gesichtsausdrücke und groß aufgerissene blaue Augen.
Fazit: Eine zwar mutige, aber nur in Ansätzen gelungene Verfilmung des gleichnamigen Romans von Peter Märtesheimer. Ich bin die Andere ist stimmig fotografiert und mit August Diehl, Armin Müller-Stahl und Dieter Laser hervorragend besetzt, es fehlen jedoch ein klares Inszenierungskonzept und eine glaubhafte Hauptdarstellerin, um das Doppelgängermotiv überzeugend umzusetzen.