Heaven: Mitreißende Liebes- und Schicksalsgeschichte um ein Paar ohne Zukunft.
„Heaven“ ist die Essenz des bisherigen Filmschaffens von Tom Tykwer: Höchst konzentriert, so direkt wie möglich bringt der Regisseur in seiner ersten Verfilmung eines Fremddrehbuchs - von Krzysztof Kieslowski und Krzysztof Piesiewicz - alle Themenbereiche seiner bisherigen Arbeiten auf den Punkt: Die Macht des Schicksals, das Niederbrechen emotionaler Mauern und der Glaube an die klärende Macht der Liebe stehen im Mittelpunkt in Tykwers erstem in englischer Sprache gedrehten Film, in den sich Kieslowskis religiöse Tiefe und Symbolik nahtlos mischt.
Das ist harter Stoff, zugegeben, aber der kompromisslose Trip lohnt sich, wenn man sich ihm bedingungslos ausliefert - ähnlich wie es die beiden Hauptfiguren tun, die sich auf eine Liebe einlassen, die keine Perspektive haben darf.
Die Kriegerin und der Kaiser: „Heaven“ führt zu Ende, was Tykwers Vorläufer „
Der Krieger und die Kaiserin“ angedacht hat. Wieder muss ein emotional vernarbter Mensch aus seiner Starre befreit werden, wozu nur ein zur Selbstaufgabe bereiter Simpel fähig ist. Doch jetzt sind die Geschlechterrollen vertauscht, und Tom Tykwer wählt den denkbar geradesten Weg. Das ist neu, denn bislang war er eher ein Filmemacher, den die Liebe zum Medium in Umwege trieb. Selbst Lola musste dreimal rennen, bevor sie ans Ziel kam, und „Der Krieger und die Kaiserin“ verlor beim wilden Jonglieren der Genres manchmal den Fokus. Das ist passé: „Heaven“ ist der Inbegriff der Verknappung und damit auch eine Befreiung für Tykwer, der sich ganz bewusst sein muss, was er erzählt.
Die simple Grundsituation gibt den Ton vor: Die Englischlehrerin Philippa plant einen Mord. Ein Mann soll sterben, weil seine Drogen ihrem Ehemann und vielen ihrer Schüler das Leben ruinierten. Die Polizei hat nicht auf ihr Flehen gehört. Jetzt nimmt sie das Gesetz in ihre Hände. Und schon verkompliziert sich die Handlung, als Philippas Bombe nicht den Schuldigen, sondern durch einen Zufall vier Unschuldige tötet. Sie lässt sich verhaften, denn sie will dafür gerade stehen. Als sie erfährt, wen ihre Bombe aus dem Leben gerissen hat, bricht sie zusammen. Der junge Carabinieri Filippo ist an ihrer Seite, berührt sie und weiß, dass sie füreinander geschaffen sind. Um seine Aufrichtigkeit zu beweisen, entwirft er einen Plan, wie Philippa ihr Vorhaben doch noch zu Ende bringen und ihnen gemeinsam die Flucht gelingen kann. Fast mathematisch genau, streng sind die kühlen Bilder, die Tykwer und sein phänomenaler Kameramann Frank Griebe für die Exposition in Turin finden: Im Gitternetz der von oben gefilmten Stadt gibt es nur Gefangene.
Nach der Flucht aus dem Grau gibt „Heaven“ den Blick frei auf das milde, güldene Licht der Toskana, die Reise aus dem Dunkel ins Licht nimmt ihren Lauf und mit ihr lässt Tykwer die beengende Realität hinter sich und öffnet sich dem Metaphysischen. Alles bisher Geschehene, die Implikationen von Schuld und Sühne, machen die Grundkonstellation für das möglich, was „Heaven“ wirklich am Herzen liegt. Philippa und Filippo sind Todgeweihte: In einer Kirche beichten sie einander ihre Sünden, sie lassen sich wie Büßer die Köpfe rasieren. Um die Aufgabe des Ichs und ihre Verschmelzung miteinander zu komplettieren, tragen sie fortan die gleiche Kleidung, sind mit weißem T-Shirt und Jeans so nackt, wie man nur sein kann - wie sich auch der Film aus jeglichem Genrekorsett geschält hat. Frei von Vergangenheit, ohne Zukunft und erkennbare Gegenwart, können sich die beiden - nur in Silhouette zu sehen und kaum voneinander zu unterscheiden - einander hingeben.
„Heaven“ ist da angelangt, wo er von Anfang an hindrängte, hypnotisch und mächtig: Er zeigt Liebe im Rohzustand, als Ist-Form, ohne Bedürfnisse, Träume, Wünsche, Richtung. Es ist ein aufregender Moment, Kulmination von knapp zehn Jahren als Filmregisseur. Zwar war „Heaven“ von Kieslowski als erster Teil der Trilogie „Heaven, Hell and Purgatory“ angelegt, aber Tykwer liefert in seinem Kraftakt gleich noch Hölle und Fegefeuer mit, bevor die beiden Protagonisten in einer Wahnsinnseinstellung gen Himmel fahren dürfen. Was Tykwer immer schon eingefordert hat - hier verknappt er es in 95 Minuten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Film muss allen Beteiligten - vor und hinter der Kamera und im Kinosaal - alles abverlangen. Cate Blanchett und Giovanni Ribisi gehen den Weg bis zur bitteren Konsequenz mit. Hoffentlich macht es ihnen das Kinopublikum nach, denn hier erwartet sie Kunstkino/Kinokunst von beeindruckender Qualität. ts.