Wer, wenn nicht Roehler? Wem sonst würde man es zutrauen, Elementarteilchen zu adaptieren, diese harte Abrechnung mit den Eltern der 68er-Generation, die verstörte, gestörte Kinder in die Welt gesetzt hat. Kinder, die mit dem anything goes nicht umgehen können. Aber Regisseur Oskar Roehler, eigentlich für den deutschen Film, was Michel Houellebecq für die französische Literatur ist, der gnadenlos zynisch und oft bunt-überdreht die gesellschaftliche Gegenwart analysiert, der von Beziehungs- und Lebensunfähigkeit, von gestörter Sexualität und Traumata erzählt dieser Oskar Roehler nimmt Elementarteilchen die Wucht.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: es geht nicht um Werktreue. Es galt, Houellebecqs Skandalroman erzählerisch umzustrukturieren und zu entflechten, denn man kann seine endzeit-philosophischen, gesellschaftskritischen und politisch unkorrekten Reflexionen wohl kaum eins zu eins auf die Leinwand übertragen. Es geht auch nicht darum, dass die Handlung nach Berlin verlegt wurde. Es geht um den Gestus, um die Wirkmacht des Stoffes. Was bei Houellebecq ein wütender, zynischer Aufschrei ist, das wird bei Roehler zum Melodram, bei dem am Ende die Kraft der Liebe die Oberhand behält. Aus der abstoßenden, extrem gelebten Sexualität Brunos wird Perversion in homöopathischen Dosen, die man im Kinosessel zurückgelehnt als Abweichung von der Norm nur müde belächeln kann.
Nun kann ein Film gegenüber der literarischen Vorlage selten bestehen. Schaltet man das Vorwissen um den Roman aus, bleibt vor allem die Geschichte zweier Brüder auf dem Weg zu sich selbst. Die beiden sind zwei Seiten einer Medaille, leben zwei Spielarten einer gestörten, gefühlslosen Sexualität, der eine ganz in sich zurückgezogen, der andere aggressiv nach außen gekehrt, aber beide unfähig zu lieben.
Selbst die Umbettung seiner Großmutter in einem Müllsack wird der halbverweste Körper über den Friedhof getragen kann Michel keine Reaktion entlocken. Allenfalls als sein Wellensittich tot von der Stange kippt zuckt er kurz zusammen um ihn dann entschlossen in den Mülleimer zu entsorgen. Sektflaschen lagert er neben tiefgekühlten Laborratten. Diesen Mann kann so etwas nicht irritieren, Gefühle scheinen für ihn ein Fremdwort zu sein. Christian Ulmens Michel sagt nichts, bewegt sein Gesicht nicht, steht verschüchtert in der Ecke und scheint froh, wenn man ihn in Ruhe lässt. Und man ist sich nicht ganz sicher, ob das Interpretation der Rolle oder schlicht schauspielerisches Unvermögen ist.
Es sind die Frauen, die die beiden Brüder wieder ins Leben, in die Welt zurückholen, und schauspielerisch beeindrucken. Franka Potente, als jugendliche Annabelle bereits in Michel verliebt, tritt ganz ungewohnt als ruhiges, einfühlsames Mädchen auf, das nur noch wenig mit ihren schrill-bunten Auftritten von früheren Filmen zu tun hat. Das tut dem Film gut und bestätigt, dass Potente mehr kann als Action und Komödie. Und dann ist da Martina Gedeck, geheimnisvoll, sinnlich und sehr pragmatisch. Mit Bruno zieht sie durch die Swingerclubs der Hauptstadt, doch die Beziehung ist keine rein sexuelle. Das erste Mal scheint sich Bruno geliebt und zu Hause zu fühlen bei einer Frau. Ich glaube ich liebe dich, sagt er zu ihr. Immer wieder Ich glaube. Er hat noch keine Sicherheit, kein Wissen um den Umgang mit den eigenen Gefühlen. Aber unfähig zu lieben ist Bruno nicht mehr.
Rein optisch bleibt Elementarteilchen brav, nur die Jugend der Brüder ist quietschbunt, angesiedelt irgendwo zwischen Technicolor-Film und LSD-Trip. Doch diese Farbigkeit ist für die beiden Brüder kein Zeichen von Freude, sondern die eklige Materialisation des Hippie-Lebens der Mutter. Auch erzählerisch bleibt der Film konventionell und enthält nur wenig von den typischen Roehlerschen Ausweglosigkeiten und der Verzweiflung, die die Figuren auf sich selbst zurückwirft.
Fazit: Elementarteilchen ist ein Konsensfilm geworden. Die extrem gelebte Sexualität wird auf ein allenfalls optisches Faszinosum reduziert, das kaum noch etwas über die Abgründe der Figuren verrät. Unabhängig von der Vorlage betrachtet überzeugten aber vor allem die souveränen Schauspieler und die mit Tiefgang ausgestatteten Frauenfiguren.
Ein sehr Roehlerscher Stoff und ein überraschend un-Roehlerscher Film.