Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre: Packende Neuinterpretation des Horrorklassikers über degenerierte Hinterwäldler, die Jagd auf menschliches Frischfleisch machen.
Ritsch, ratsch, und das Bein ist ab. Sieben Worte als Pitching-Traum - mehr braucht der Kopf des Filmfans nicht, um den Körper zittern zu lassen. Wenn nach Weihnachten die Herzen von Wärme und die Bäuche von Kalorien gefüllt sind, sorgt Horrorlegende Leatherface für Kontrastprogramm. Und mit seiner Kettensäge für spontanen Gewichtsabbau. 29 Jahre nach Tobe Hoopers intensivem „Blutgericht in Texas“, das bei einer ganzen Generation von New-Hollywood-Filmemachern nachhaltigen Eindruck hinterließ, wagen Produzent Michael Bay und der deutsche Clipguru Marcus Nispel in seinem Regiedebüt eine Neuinterpretation des Stoffes. Diese bedient trotz Blut und Gewalt nicht die Interessen von Kannibalen oder Pathologen, sondern ein junges Publikum, das sich gruseln, an ausgewählten Stellen in Hysterie schreien, aber nicht notwendigerweise übergeben will.
Natürlich haben sich die Voraussetzungen in fast 30 Jahren geändert. Kommerziell, weil mit dem Genre heute viel mehr Geld zu verdienen ist, und auch in der Disposition des Zuschauers. 1974 hatte es Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ oder Wes Cravens „Das letzte Haus links“ gegeben, aber wenig mehr von vergleichbarer Schockwirkung. So war das Publikum terrortauglicher als das heutige, das die Konventionen kennt und den Schrecken im Idealfall immer überraschender und innovativer erfahren will. Das in Deutschland jahrelang indizierte, mittlerweile auf DVD veröffentlichte Original dürfte nur eine Minderheit von Genrespezialisten kennen, was für Nispels freies Remake nur von Vorteil sein kann.
Wie im Original spricht US-Komiker John Laroquette den Prolog, erzählt von der angeblich wahren Geschichte, die sich 1973 ereignete, tatsächlich aber von Serialkiller Ed Gein inspiriert ist, der 1957 verhaftet und verschlüsselt in Hitchcocks „Psycho“ zur grausig-tragischen Legende wurde. Grobkörnige, pseudodokumentarische Bilder begleiten mit „Blair Witch“-Touch den Prolog und zwei Cops, die durch die Katakomben des Hauses gehen, in dem eine degenerierte Sippe mit einer hünenhaften Frontfigur arglose Opfer abschlachtete. Ein Rückblick führt dann zu drei jungen Männern und zwei jungen Frauen, die auf der Fahrt von Mexiko nach Dallas eine völlig verstörte Frau aufgreifen. Eine Hommage an den verrückten Anhalter des Originals, aber, wie an anderen Stellen des Films, nur der Startpunkt für die Geschichte, um alternative Wege einzuschlagen. „Sie sind alle tot“, stammelt die Geschundene und jagt sich Minuten später eine Kugel durch den Rachen, die die Kamera, wie in einer grotesken Verbeugung vor „Natural Born Killers“, mit einer Rückwärtsfahrt durch Kopf und Fenster begleitet.
Es ist der wohl drastischste Effekt in Nispels Film, der sonst, beeinflusst vom Original und dem Wunsch auf kommerziell günstige Gnade der MPAA, weitgehend auf Schnitte und die Fantasie des Zuschauers setzt. Obwohl Beine und Arme abgetrennt, Hautstücke von Leatherface zusammengenäht werden, einer der Jungs an einem Fleischerhaken langsam verendet und die Kamera von Daniel Pearl, einem Veteran des Originals, neugierig durch das mit menschlichen Ersatzteilen angefüllte Gruselkabinett von Leatherfaces Haus kurvt. Unangebrachten Humor gibt es, von Internet-Guru Harry Knowles‘ auf einem Tablett platzierten Kopf abgesehen, kaum. Während ein durchgeknallter Sheriff (Glanzauftritt von R. Lee Ermey), dessen schlechte Gene direkt zu Leatherface führen, die geschockten Twens an der Flucht hindert, verrichtet der Mann mit der Kettensäge im Farmhaus, einer Albtraumversion von „Days of Heaven“, aber auch in freier Natur sein blutiges Werk. Einen echten, spannenden Überlebenskampf gönnt der Film dabei nur Protagonistin und TV-Star Jessica Biel, die durch Wälder, Hütten und Fleischfabriken gejagt wird und dabei als Screamqueen, Darstellerin und Top-Trägerin eine gute Figur macht. Sie ist die Identifikationsfigur (hoffentlich), zeigt Courage, Mitleid und im Unterschied zu ihren Freunden Abneigung gegen Drogen. Der Tod in Hollywood ist grausam, aber nach wie vor moralisch gerecht. kob.