Die Tiefseetaucher: Treffen Sie Steve Zissou: Wes Anderson schickt Bill Murray als modernen Käpt'n Ahab auf hohe See und die Jagd nach seinem persönlichen Moby Dick.
Schiff Ahoi! Mit „Die Tiefseetaucher“ meldet sich Regiewunderkind Wes Anderson nach seinem Geniestreich „
Die Royal Tenenbaums“ und dreijähriger Forschungsarbeit zurück. Bei seinem vierten und bislang ambitioniertesten Film taucht Anderson in den Rausch der Tiefe: mit der märchenhaften und sehnsuchtsvollen Geschichte eines alternden Ozeanographen auf der Suche nach Liebe, Vergeltung und Selbstbestätigung.
Wes Andersons lang ersehnter vierter Film ist das aquamarinblaue Pendant zum perfekten „Die Royal Tenenbaums“. War jener eine Satire auf das Subgenre des Familienepos, ist dieser ein Abenteuerfilm, der sich gleichsam allen Konventionen widersetzt und dem deutlich erkennbar dem selben genialisch-kreativen Geist entsprungen ist. Im Mittelpunkt steht wieder eine gescheiterte Vaterfigur: Bill Murrays Steve Zissou ist wie Gene Hackmans Patriarch Royal Tenenbaum gelebte Verantwortungslosigkeit und Egoismus gepaart mit Midlifecrisis und Comebackversuch: legendärer Tiefseeforscher, ewig suchender Frauenheld und Jacques Cousteaus legitimer Nachfolger, der auf dem gesamten Globus für seine Dokumentationen über das Leben unter Wasser bekannt ist, ein unermüdlicher moderner Käpt’n Ahab auf der Jagd nach seinem persönlichen Moby Dick, einem sagenumwobenen Riesenhai, der seinen besten Freund und Taucherkumpan Esteban vor seinen Augen gegessen hat. Zissous neue Dokumentation soll seine Vergeltung an dem Untier einfangen. Bevor Team Zissou in See sticht, taucht ein junger Mann namens Ned Plimpton (Owen Wilson) auf und stellt sich als Steves möglicher unehelicher Sohn vor, den der mögliche Vater prompt einlädt, an der Expedition teilzunehmen.
„Die Tiefseetaucher“ ist die Geschichte eines Ertrinkenden, eines Filmemachers, dem das Wasser bis zum Halse steht und der sich die Frage stellen muss, ob er in seinem Leben und seiner Karriere versagt hat, der nach Wiedergutmachung für sein Scheitern als Vater strebt und danach, das Bild der Öffentlichkeit von sich selbst aufrecht zu erhalten. „Die Tiefseetaucher“ ist eine weitaus zerrissenere und verwirrendere Angelegenheit als „Die Royal Tenenbaums“, der Anderson inszenatorisch gerecht wird. Die zahllosen Mitglieder des Team Zissou - angefangen von dem eifersüchtigen deutschen Ingenieur Klaus Daimler (Willem Dafoe) bis zur schwangeren Journalistin Jane Winslett-Richardson (Cate Blanchett) - sind für den Zuschauer zwangsweise schwieriger zu erfassen, denn der unstete Zissou-Blick weicht vom Wesentlichen ab, und der Rhythmus des Films ist selbst in den überraschenden Actionsequenzen bei einer Auseinandersetzung mit Hochseepiraten verzerrt, als wäre ständig unter Wasser gedreht worden. Der Blick eines Kindes im nicht erwachsen werden wollenden Mann beherrscht hier sogar die Weltmeere: Die ernsthaften, schmerzhaften Konflikte des Films werden von einer verspielten, grenzenlosen Fantasie verdrängt, der Look von „Die Tiefseetaucher“ findet seine Referenzen bei „Moby Dick“, Jacques Cousteau und „Flipper“, seine Schöpfer sind Henry Selick („Tim Burton’s Nightmare Before Christmas“), der in Oldschool-Stop-Motion-Animation die Welt von Steve Zissou mit drollig-bunten Meerestierchen bevölkert; Szenenbildner Mark Friedberg („Die Royal Tenenbaums“), der Zissous Expeditionsschiff Belafonte der Länge nach aufschneidet und Kameramann Robert Yeoman Raum für Raum mit in einer revolutionären Querschnitt-Sequenz abfilmen lässt, als befänden wir uns wie in „Dogville“ auf einer einzigen Bühne; Kostümbildnerin Milena Canonero („
Jenseits von Afrika„), die Team Zissou geschmackssicher in himmelblaue Anzüge und rote Wollmützen kleidet.
Alles ist ein bisschen cartoonhaft und regressiv, eine mit größter Sorgfalt und einem aufregenden Detailreichtum bemalte Leinwand, auf der manches an das nostalgische New-York-Bohemian-Umfeld der Familie Tenenbaum erinnert - nur, dass diese magical mystery tour noch ein bisschen magischer, manchmal auch sehr viel alberner ist. Die sehnsuchtsvolle Note des Films treffen nicht nur die musikalischen Intermezzi von Andersons Kumpan Mark Mothersbaugh, sondern vor allem die des Schauspielers Seu Jorge, bekannt aus „City of God“, der als griechischer Chor allen Ernstes Songs von David Bowie ins Portugiesische übersetzt und an Bord auf seiner Gitarre zupft. Merkwürdig und von entrückter, wehmütiger Schönheit, wie die paisleygemusterten Thunfische, elektrischen Quallen und gestreiften Seepferdchen aus der Schmiede Selicks, sind diese Lieder wie das gesamte Universum von Wes Andersons „Tiefseetauchern“. Ein großes komplexes Abenteuer, mit dem sich das Wunderkind mit seinem ganz eigenen Stil endgültig etabliert. deg.