Hautnah: Starbesetztes Beziehungsdrama von Mike Nichols, in dem sich zwei Männer und zwei Frauen gegenseitig betrügen, belügen, verlieben und entlieben.
Im besten Fall zeichnen sich die Filme von Mike Nichols seit Mitte der sechziger Jahre durch Direktheit, Ehrlichkeit und bissige Satire aus, mit der der Filmemacher menschliche wie gesellschaftliche Zustände kommentiert. Nichols‘ Begeisterung für das Spiel mit Worten geht mit seiner Liebe zum Theater einher, die er nicht nur auf der Bühne, sondern auch immer wieder mit Leinwand-Adaptionen von Klassikern wie seinem Debüt „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ bis zu seinem Golden-Globe- und Emmy-Abräumer „Angels in America“ von 2003 verwirklicht hat. Und nun also auch mit „Hautnah“, der auf einem gefeierten Stück des Briten Patrick Marber beruht, das den Begriff „Beziehungsdrama“ so wörtlich nimmt wie Nichols die Prämissen der Bühnenvorlage.
Die Zutaten für die filmische Version von „Closer“ kann man fast an einer Hand abzählen: Vier Hollywoodstars; die fast irrelevante, regnerisch graue Kulisse Londons, die wie die Stars in ihren unauffälligen bis trashigen Klamotten angenehm unglamourös auftritt; sowie ausgefeilte, messerscharf gewetzte und manchmal umwerfend komische Dialoge, die im Krieg der Geschlechter die wirksamsten Waffen sind. Der beginnt, als den gescheiterten Schriftsteller Dan (Jude Law) die Liebe zur New Yorker Stripperin Alice (Natalie Portman) so zufällig trifft, wie Alice das Taxi, vor das sie versehentlich läuft, weil sie mitten im Londoner Straßenverkehr die Augen einfach nicht von Dan abwenden kann. Ebenfalls eher die Folge einer Art „Unfall“ ist die Beziehung zwischen dem Dermatologen Larry (Clive Owen) und der Fotografin Anna (Julia Roberts), die Dan später für seinen ersten veröffentlichten Roman ablichten wird. Dann beginnen Dan und Anna eine Affäre. Es vergeht zunächst ein Jahr, in dem beide ihre Partner belügen und betrügen und schließlich - trotz Annas und Larrys Heirat -, die Wahrheit gestehen. Ohne Rücksicht auf verletzte Gefühle und gebrochene Herzen setzen von nun an beide Männer alles daran, Anna für sich zu gewinnen, was weniger mit der Sehnsucht nach der großen Liebe als mit dem Triumph des männlichen Egos, mit Macht und Sex zu tun hat.
In chronologisch aufeinander folgenden Episoden, deren unterschiedliche zeitliche Abstände vom Zuschauer jedoch jeweils erst nach und nach zu erschließen sind, was die Struktur des Films interessant und reizvoll macht, konfrontiert Nichols jeweils zwei seiner Figuren miteinander, lässt sie flirten oder streiten, sich wahlweise mit der Wahrheit oder ihren Lügen Schmerz zufügen, manchmal unvermeidlich, manchmal absichtlich, und den Verlauf der Verhältnisse wieder und wieder in eine neue Richtung lenken. Der Film und vor allem seine Dialoge sind herrlich freizügig, manchmal sogar richtiggehend schamlos schmutzig. Marbers Drehbuch zufolge wird hier kein Blatt vor den Mund genommen, was schon früh in einer Sequenz gipfelt, in der Dan und Larry in einem Internet-Sex-Chatroom zusammen kommen - einer verblüffend langen und grenzüberschreitenden Szene, die irgendwann peinlich berührt. Genau diese Reaktion reizt Nichols auch am Ende aus, wenn er Larry und Alice in einem Stripclub aufeinandertreffen lässt, wenn Portman zwar nicht alle stofflichen Hüllen fallen lässt, aber auch hier beide Figuren in einer schmerzhaft emotionalen Tortur einen Seelenstrip vorführen. Alle vier spielen hervorragend, intensiv, und sind - einmal abgesehen von Owens eher typisiertem ehrgeizigem Dermatologen - nachvollziehbar und glaubwürdig. Die menschlichen Makel der Charaktere und die ständigen Wechsel der Vorzeichen machen es wiederum dem Zuschauer nicht einfach, Partei und Sympathien zu ergreifen. Eher hasst und liebt man gleichermaßen, wobei man jedoch seinen Blick vor allem von Jude Law in seiner bislang komplexesten Rolle nicht abwenden mag. Natalie Portman, deren Alice schon in der ersten Szene und der ersten Begegnung mit Dan Verletzungen davon trägt, entlockt der zerbrechlichen Schale ihrer mädchenhaften Figur schließlich eine erstaunlich starke Frau, die vielleicht als Einzige im Reigen aufrichtig genannt werden kann. Der Film stellt in seinem Beziehungsreigen die richtigen Fragen - nach der Liebe, der Existenz einer Liebe auf den ersten Blick, der Notwendigkeit von Wahrheit oder Lügen in Beziehungen, der Bedeutung von Sex und dem, was geschlechtsreife Großstädter im Jahr 2004 zusammenbringt. Er ist sehr sinnlich, erotisch, unterhaltsam und geht in seinen eindringlichsten Momenten wirklich unter die Haut. Und das ist vor allem Law, Roberts, Portman und Owen zu verdanken, die sich bei der Vergabe der Schauspieler-Oscars damit schon mal vorne anstellen dürfen. deg.