Broken Flowers: Jim Jarmusch schickt Bill Murray auf einen spektakulär entspannten Roadtrip durch vergangene Liebschaften. Hinreißend.
Der schönste, hinreißendste und komischste Wettbewerbsbeitrag des diesjährigen Festivals von Cannes, der bei Kritik und Publikum für anhaltend gute Laune sorgte: Jim Jarmusch schickt in seinem bislang kommerziellsten Film Hauptdarsteller Bill Murray, begleitet von einer Riege fabelhafter weiblicher Stars von Sharon Stone bis Jessica Lange, auf einen Roadtrip zu verflossenen Liebschaften und gibt ihm alle Möglichkeiten, sein brillantes schauspielerisches Talent zu beweisen.
In der Rolle, die ihm Jim Jarmusch genauso auf den Leib geschrieben hat wie zuvor Sofia Coppola die des Bob Harris, ist Bill Murray mehr noch als in „Lost in Translation“ die personifizierte männliche Midlifecrisis, eine „Broken Flower“ mit abgeknicktem Kopf, ein verblühter Don Juan, der mit Ende seiner aktuellen Affäre allein auf dem Sofa vor dem Fernseher vor sich dahinwelkt. Wäre da nicht ein rosafarbener Brief, der zeitgleich mit dem Auszug seiner letzten Flamme Sherry (Julie Delpy) in sein Haus flattern würde, und in dem sein gut gelaunter Nachbar, vielfacher Vater und Hobbydetektiv Winston (Jeffrey Wright) Nährboden für einen blühenden Neuanfang in Don Johnstons Leben entdecken würde. Der anonyme schreibmaschinengetippte Brief einer Verflossenen bescheinigt Don Johnston die Vaterschaft eines mittlerweile 19-jährigen Sohnes, und Winstons Ehrgeiz entspringt sofort ein ausgearbeiteter Routenplan, der den weit weniger enthusiastischen, frisch gebackenen Vater auf eine Reise durch amerikanische Vorstädte zu allen zum betreffenden Zeitpunkt gedateten Frauen schickt, damit er herausfindet, wer Absenderin und Mutter des unbekannten Sprosses sein könnte.
Don Johnstons melancholischer Roadtrip wird natürlich mehr als Reise zu sich selbst enden, als dass er tatsächlich eine Reise in die Vergangenheit wäre. „Broken Flowers“ ist ein Film über die Gegenwart, was allerspätestens dann bewusst wird, wenn er seinen Helden in der letzten Sequenz philosophisch zusammenfassen lässt: „Es gibt die Vergangenheit und es gibt die Zukunft. Die Vergangenheit war, die Zukunft kenne ich nicht. Aber ich kenne die Gegenwart. Darin lebe ich.“ Dabei kennt sich Don Johnston jedoch anfangs in der Gegenwart gar nicht mehr aus - er ist im EDV-Geschäft zu Geld gekommen, verweigert aber selbst den Besitz eines Computers; er versteht die Sprache kichernder Teenager nicht mehr und von einem wiehernden Spielzeugpferd fühlt er sich eher bedroht. Irgendwie scheint das Leben geradewegs an ihm vorbeizuziehen, und er würde gerne wissen, was ihm eigentlich fehlt. Die plötzliche Konfrontation mit seiner möglichen Vaterschaft bringt Murrays hier enorm passive Hauptfigur wie schon in „Die Tiefseetaucher“ in Bewegung. Aber anders als in Wes Andersons verspieltem Skurrilitätenkabinett findet Jarmusch genügend Merkwürdigkeiten im ganz normalen amerikanischen Vorstadtdasein und reduziert die Komik der Begegnungen ganz auf die hohe Kunst - des Nichtstuns. Zusammen liefern Murray und Jarmusch eine immer unterhaltsame Lehrstunde in Minimalismus: Murray, indem er sich einen Film lang kaum bewegt, die einzige Bewegung von seinem Leihwagen verrichten lässt und nur in der letzten Szene plötzlich mit einer überraschenden, panischen Rasanz selbst die Beine in die Hand nimmt und feststellt, dass er vermutlich erst einmal aus sich herauskommen muss, wenn er wirklich herausfinden will, wonach er eigentlich sucht. Ansonsten möchte man sich an seinem absolut minimalistischem Minenspiel, einer leicht gehoben Augenbraue, einem ungläubigen Seitenblick nicht sattsehen; wie er mit einem kaum sichtbaren Zucken auf die von seinen weiblichen Ko-Stars zugespielten Bälle reagiert und in jeder Szene die Lacher gewinnt. Jarmusch unterstreicht das Ganze mit gewohnt unbewegten Kamerabildern ohne eine einzige Kamerafahrt, zoomt allenfalls an Murrays erstarrtes Gesicht heran. Zwischen den manchmal wie eine Fortsetzung von „Coffee and Cigarettes“ wirkenden Episoden blendet er auf und ab, mischt das ganze mit kurzen Traumsequenzen, in denen ein regungsloser Don Johnston die Begegnungen Revue passieren lässt, und garniert alles in bekannt lakonischer Weise mit dem denkbar lässigsten Soundtrack - in diesem Fall äthiopischer Jazz, zusammengestellt auf einer von Winston gebrannten CD für die Reise; Musik, die mit Don Johnston, der sich lieber klassischen Klängen hingibt, so wenig zu tun hat, wie die Frauen, denen er begegnet. Was diese mit ihm irgendwann einmal verbunden haben könnte, interessiert Jarmusch und Don Johnston gar nicht. Auf der Reise geht es einzig um die detektivische Suche nach einer Schreibmaschine und einer Vorliebe der Verflossenen für die Farbe Rosa, weshalb der wortkarge Don Johnston Winstons Rat zufolge allen Frauen pinkfarbene Blumen bringt. Alle Frauen - charakterisiert mehr über ihr von kitschig bis steril reichendes Umfeld als über Dialoge - reagieren merkwürdig auf Don Johnstons Frage nach Kindern, alle könnten theoretisch Mutter seines Sohnes sein oder auch nicht, und genauso reagiert Don Johnston im Verlauf seiner Reise auf alle männlichen 19-Jährigen, die ihm begegnen und die eine winzige Ähnlichkeit mit ihm aufweisen, als könnten sie sein Sohn sein. Der Witz von „Broken Flowers“ entsteht aus genau diesen Parallelen wie aus den Ambivalenzen, die überall in den Begegnungen zu Tage treten, in einem Film, der paradoxerweise ein Roadmovie ist, das ohne Bewegung auskommt; aus Jarmuschs Spiel mit dem Zufall, der theoretisch Schicksal sein könnte, was er aber mit gewohnter Selbstverständlichkeit unbeantwortet lässt - genauso wie die Frage, die seinen Helden angetrieben hat. Wünsche dürfte Jarmuschs bislang zugänglichster, sanftester und kommerziellster Film aber weder bei Fans noch bei einem breiteren Kinopublikum offen lassen. deg.