Die üblichen Verdächtigen: Meisterhafter Thriller von Bryan Singer, der einem mit der Geschichte des vermeintlichen "Teufels" Kayzer Söze ein herrliches Ammenmärchen auftischt.
Die „Pulp Fiction“-Entzugserscheinungen werden bald gelindert: Mit dem cleversten Zelluloidvergnügen seit Tarantinos Meisterwerk liefert US-Indie-Kollege Bryan Singer in seinem ebenfalls zweiten Film, „The Usual Suspects“, eine Achterbahn für Auge, Ohr und Kopf. In Singers Sundance-Hit gibt es zwar wenig zu lachen, aber die mehrschichtige Intelligenz seiner Gangstergeschichte steht „Pulp Fiction“ keine Sekunde nach. Wenn in einem relativ kleinen Film eines relativ unbekannten Regisseurs ein Haufen namhafter, erstklassiger Schauspieler auftaucht, darf man auf Qualität hoffen. Wie Tarantino bei „
Reservoir Dogs“ hat es Singer bei „The Usual Suspects“ geschafft, exzellente Mimen für sich zu gewinnen: Chazz Palminteri, Gabriel Byrne, Giancarlo Esposito, Kevin Pollak, Stephen Baldwin, Kevin Spacey, Pete Postlethwaite und - Entdeckung! - Benicio Del Toro liefern Schauspielkunst der seltenen Güte. Allein sie zu beobachten, macht Singers Film zum Erlebnis. Aber damit fängt der Spaß erst an: Newton Thomas Sigels geheimnisvoll-brodelnde Widescreen-Bilder, die Film Noir in Farbe zelebrieren, John Ottmans atmosphärisch und dramaturgisch punktgenaue Musik sowie natürlich Christopher McQuarries elegant-ominös verschachteltes Drehbuch (mit den geschliffensten Dialogen seit „Pulp Fiction“) machen aus „The Usual Suspects“ ein rechtes Cineasten-Vergnügen. Die restrospektiv aufgerollte Geschichte eines klassischen deal gone bad, bei dem zwei Cops (Palminteri und Esposito), fünf Gangster (Byrne, Pollak, Baldwin, Spacey und Del Toro) sowie diverse Schergen (vor allem der satanisch anmutende Postlethwaite) mit der Wahrheit ringen, ist die Art von Film, dessen dramaturgisches und visuelles Echo einen lange verfolgt. „The Usual Suspects“ erzählt nicht nur eine spannende Geschichte, er thematisiert auch gekonnt das Ur-Thema Realität und Fiktion. Dieser Film schafft es im Verlauf der vertrackten Hinführung zu seinem explosiven Ende, den Zuschauer in die vollkommene Abhängigkeit seines narrativen Spiels zu führen, um ihn am Ende in die totale kognitive Verunsicherung zu entlassen. Nichts ist, wie es scheint - diese Wahrheit des Lebens und des Films zieht „The Usual Suspects“ konsequent durch: Gemeinsam mit den männlich-hilflosen Film-Opfern von Logik, Macht und Gewalt (Shakespeare läßt grüßen) verheddert der Zuschauer sich in die Sucht nach Eindeutigkeit. Nur einer, der vermeintlich im Nachteil ist und am wenigsten versteht (nochmal Shakespeare), hat am Ende allein die Fäden in der Hand - und selbst dann ist nicht sicher, ob überhaupt irgendetwas stimmt von dem, was an verschiedenen Turning Points so plausibel erschien. Eine Portion Aufmerksamkeit und Nerven sowie ein bißchen Toleranz für Gewalt braucht man für diesen Film, aber den Machern (Executive Producers: Francois Duplat und Hans Brockmann) wird klar gewesen sein, daß dies Unterhaltung für ein Publikum ist, das mehr als Gumpismus oder Van Damme vom Kinobesuch erwartet. dd.