The Grandmaster: Kampfkunst-Epos in atemberaubenden Bildern um den legendären Lehrer von Bruce Lee. Von Kinomagier Wong Kar Wai ("2046", "My Blueberry Nights").
Ein Hauch von Martial Arts: Wong Kar Wais Biopic über den legendären Kung-Fu-Lehrer Ip Man ist eine actionreiche Meditation über Haltung im Angesicht von Schmerz, Verlust und unausgesprochener Liebe.
Knapp zehn Minuten kürzer als vom Festival angekündigt und noch einmal anders als die Fassung, die bereits zu Beginn des Jahres in China in den Kinos mit phänomenalem Erfolg angelaufen ist, ist die Version von Wong Kar Wais „The Grandmaster“, die die 63. Berlinale eröffnet hat und nun auch in die deutschen Kinos kommen wird. Das kann niemanden überraschen, der sich an das Drama um Wongs „2046“ in Cannes erinnern kann, der so spät fertig gestellt wurde, dass er während des Festivals noch einmal um zwei Tage nach hinten verlegt werden musste. Und so hat der Regisseur nun wieder bis zum letzten Moment gefeilt und geschnitten, um seinem Film den letzten Schliff zu verpassen, nach insgesamt sechs Jahren Arbeit an dem mit 40 Mio. Euro budgetierten Mammutprojekt, das Wong den Weg aus der kreativen Sackgasse von „
My Blueberry Nights“ weist und gleichzeitig näher an den Mainstream rückt.
„The Grandmaster“ erzählt, will man meinen, die Geschichte von Ip Man, jenen in China als Volkshelden gefeierten Kung-Fu-Lehrer, der Bruce Lee ausbildete und den Wing-Chun-Kampfstil weltweit berühmt machte. Er erzählt vom Werdegang des Mannes, von seiner Meisterschaft, von den harten Zeiten während der japanischen Besetzung, von Verlust und Schmerz und vom Neuanfang, als er verarmt seine erste Kung-Fu-Schule in Hongkong gründet. So weit, so Biopic. Der Film erzählt auch vom Bestreben eines in die Jahre gekommenen Großmeisters, die disparaten Kung-Fu-Stile zu einem zu vereinen, die im Norden und Süden des Landes gepflegt werden. Er erzählt, eigentlich ganz konventionell, von Machtkämpfen, vom Aufeinanderprall verschiedener Weltsichten, die sich meist handgreiflich manifestieren. So weit, so Martial-Arts-Film.
Aber es ist ein Film von Wong Kar Wai, und deshalb sind Erzählkonventionen nur dazu da, missachtet zu werden. So bereitwillig der Regisseur das Genrespiel anfangs noch mitspielt, so sehr wird mit zunehmender Laufzeit klar, dass es nur den groben Rahmen vorgibt für die Dinge, die ihn wirklich interessieren. Je mehr der Fokus von Ip Man zu der Tochter des bisherigen Großmeisters Gong wandert, desto deutlicher wird, dass auch „The Grandmaster“ eine Variation des Themas ist, das Wong Kar Wai mit „Happy Together“ und „
In the Mood for Love“ zu einem der aufregendsten Regisseure der Gegenwart gemacht hat: Um Einsamkeit geht es, unausgesprochene Zuneigung und die Unmöglichkeit der Liebe, um zwei Menschen, die nicht zueinander kommen können, weil es ihre Welt nicht erlaubt und sie gezwungen sind, ihren Weg konsequent zu Ende zu gehen, während sie von den kleinen Gesten und Momenten zehren, die sie miteinander hatten.
Wie sich diese Geschichte aus dem größeren Zusammenhang schält und aus einem Historienepos mehr und mehr ein Film von Wong Kar Wai wird, ist atemberaubend und herzzerreißend und, wie immer bei Wong, unfassbar schön anzusehen. Tony Leung und Zhang Ziyi sind wunderbar als die beiden Königskinder, die sich nicht finden können. Und sie sind auch großartig in den Martial-Arts-Szenen.
Denn es wird viel gekämpft, buchstäblich vom ersten Moment an, wie man es erwarten durfte. Grandios choreographiert sind die Kämpfe von Yuen Wo-Ping und mit einzigartiger Innovation gefilmt aus einer Vielzahl schier unmöglicher Kamerawinkel. Und doch orientiert sich Wong bei der Umsetzung nicht an den auf diesem Gebiet Maßstäbe setzenden Filmen, Ang Lees „Tiger and Dragon“ und Zhang Yimous „Hero“ und „
House of Flying Daggers„. Er ist hier zwar in the mood for action, aber doch nie so recht an der Dramatik der Kämpfe interessiert. So spektakulär das hier auch aussieht, der Blick richtet sich stets nach innen: Was fühlt man, was denkt man, was bedeuten die Bewegungen? In einer frühen Szene von Guy Ritchies „Sherlock Holmes“ sieht man den Titelhelden, wie er den Faustkampf mit einem körperlich überlegenen Gegner en detail vor seinem geistigen Auge abspielen lässt. Wenn sich der Kampf daraufhin in Realgeschwindigkeit genauso abspielt wie kalkuliert, versteht man als Zuschauer jede Bewegung und Entscheidung im blitzschnellen Verlauf der Auseinandersetzung. „The Grandmaster“ gelingt das Kunststück, jede Bewegung und Geste begreifbar zu machen, ohne dass er es davor erklären müsste. Es geht um Haltung, um Anschauungen und Philosophie. Anders als die beiden „
Ip Man„-Filme mit Donnie Yen ist „The Grandmaster“ nie verklärendes Heldenepos, sondern eine romantische Geste, die das Leben ihrer Figuren eng mit der zu Beginn des Films formulierten Idee hinter Kung Fu verknüpft: „Zwei Worte, eines horizontal, eines vertikal. Wer liegen bleibt, hat verloren. Wer am Ende aufrecht steht, ist der Gewinner.“ ts.