Die innere Sicherheit: Bewegendes, mit vorzüglichen, kühlen Bildern gestaltetes Drama um ein Terroristenpaar auf der Flucht aus der Sicht der Tochter.
War der diesjährige Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig eher von mittelmäßiger Qualität, gab es in den diversen Nebenreihen doch einige Entdeckungen zu machen. So zum Beispiel zwei deutsche Produktionen, die zur allgemeinen Verwunderung nicht in den concorso aufgenommen worden waren: Tom Tykwers „Der Krieger und die Kaiserin“ und Christian Petzolds Terroristen-Drama, das in der Sektion „Kino der Gegenwart“ lief und bei Publikum wie Fachbesuchern gleichermaßen auf positives Echo stieß.
Regisseur Christian Petzold, 1960 in Hilden geboren, aufgewachsen in Haan/Rheinland und Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), interessiert sich bei seinem Kino-Erstling weniger für das Phänomen bzw. die Ursprünge des Terrorismus, wie etwa Margarethe von Trotta in „Die bleierne Zeit“ (1981 mit dem „Goldenen Löwen“ der Biennale ausgezeichnet), sondern für die Zeit „danach“. Nicht um Vergangenheitsbewältigung geht es ihm und seinem Kodrehbuch-Autor Harun Farocki („Was man sieht“), sondern um die Schilderung der versuchten Rückkehr seiner „Helden“ in die Normalität, um deren Innenleben, Hoffungen und Träume zu Zeiten der grauen Kohl-Ära. Terror und Revolution spielen keine Rolle mehr, ebenso wenig wie der ehemals erbittert geführte Kampf gegen den militärisch-industriellen Komplex. Den Regisseur hat, nach eigenen Angaben, unter anderem ein taz-Artikel über Wolfgang Grams zu diesem Film inspiriert. In dem stand zu lesen, dass der steckbrieflich gesuchte Staatsfeind Marmelade einkochte und Liebesgedichte an „Kollegin“ Birgit Hogefeld schrieb - nicht der Mythos hat Petzolds Neugier erregt, sondern der Mensch.
Vergleichbar mit Sidney Lumets Protagonisten in „Die Flucht ins Ungewisse“ (1987) leben die ehemaligen RAF-Mitglieder Clara und Hans seit Jahren im Untergrund. In Portugal mühen sie sich, als Touristen getarnt, ein halbwegs „normales“ Leben zu führen. Darunter leidet vor allem die 15-jährige Tochter Jeanne, der es an Freunden und sozialen Kontakten fehlt. Doch bald soll, so versichern die Eltern, alles besser werden, denn die Übersiedlung nach Brasilien, neue Identitäten inklusive, steht kurz bevor. Da wird in ihrer Wohnung eingebrochen, ihr Geld nebst allen Papieren gestohlen. Und wieder ist die Familie auf der Flucht - diesmal zurück nach Deutschland, wo sie auf Unterstützung und Hilfe alter Freunde hofft…
Petzold inszeniert „Die innere Sicherheit“ weder als platte Polit-Story noch als Action-reichen Thriller, sondern rückt Menschen, die von den Geistern der Vergangenheit gejagt werden, ins Zentrum des Interesses. Ihre persönliche Verantwortung, ihre Gedanken, ihre Gefühle treiben die Handlung voran. Clara und Hans, von Barbara Auer und Richy Müller ein wenig blass gespielt, sind Gefangene ihrer selbst und müssen scheinbar bis in alle Ewigkeit für frühere Straftaten büßen. Und mit ihnen auch Jeanne (eindringlich: Julia Hummer), die, als sie sich erstmals „materialisiert“, Kontakte knüpft und sich in den jungen Surfer Heinrich (authentisch: Bilge Bingül) verliebt, die Sicherheit der Familie gefährdet und letztendlich daran Schuld trägt, dass die Polizei ihnen auf die Spur kommt. So ist ein bewegendes, von Kameramann Hans Fromm mit vorzüglichen, eiskalten Bildern gestaltetes Drama um Schuld und Sühne entstanden, das vordergründig über „typische“ Terroristen-Schicksale reflektiert, hintergründig aber durchaus auch von den Auswirkungen der Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre erzählt. Eine ideale Ergänzung zu Schlöndorffs ähnlich gelagertem „Stille nach dem Schuss“, die ob des heiklen, etwas sperrigen Themas vom Verleih viel Fingerspitzengefühl in puncto Werbung und Vermietung voraussetzt. GeH.