Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada: Neo-Western von und mit Tommy Lee Jones, der mit einer Leiche im Gepäck durch das Niemandsland zwischen den USA und Mexiko reitet.
Der Plot von Tommy Lee Jones‘ bemerkenswertem Regiedebüt, das beim Filmfestival von Cannes gleich mit zwei Preisen bedacht wurde (für das Beste Drehbuch und den Besten Hauptdarsteller), ist eine klassische Rache-Western-Story, geschrieben von dem mexikanischen Autor und Jones‘ Jagdkumpan Guillermo Arriaga, der nach Meisterwerken wie „Amores Perros“ und „21 Gramm“ auch hier natürlich weniger eine geradlinige Struktur, als eine zersplitterte, zwischen Zeitebenen und Handlungssträngen wechselnde Erzählweise entwirft.
Mit der Umsetzung des unkonventionellen Skripts, das lose auf einer wahren Begebenheit basiert, verlangt Tommy Lee Jones bei seiner ersten Regiearbeit für die große Leinwand dem Zuschauer eingangs ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit ab - das Zusammensetzen der servierten Storyfetzen macht die Geschichte allerdings ungemein spannend, mischt ihr eine gewisse Zeitlosigkeit bei, und lässt den Regisseur gleichzeitig eine beeindruckende Versiertheit und Lässigkeit im Umgang mit der komplexen Struktur beweisen.
„The Three Burials of Melquiades Estrada“ ist aus dem Stoff gemacht, mit dem sich Jones auskennt - der kargen Gegend von Texas, in der er geboren wurde und jahrelang auf einer eigenen Ranch hauste; bei dem eigenwilligen Menschenschlag der weißen Amerikaner und Mexikaner im Borderland zwischen Texas und Mexiko, wo Auseinandersetzungen zwischen US-Grenzpolizei und Flüchtlingen auf der Tagesordnung stehen. Hier herrschen Texas‘ eigene moralische Gesetze, die ganz dem Wilden Westen verhaftet sind - gegen die Langeweile hilft man sich mit Seitensprüngen, die geladene Winchester sitzt locker, die Fortbewegung auf dem Pferderücken gehört zum Alltag wie die Sporen an den Cowboystiefeln. Und genau hier lässt Guillermo Arriaga die Schicksale dreier Outsider aufeinander prallen: Da ist zum einen der ältere, grantige Rancher Pete (ein gewohnt zurückhaltender Tommy Lee Jones), ein idealistischer, selten lächelnder Mann, der sich mit dem mexikanischen Cowboy Melquiades (Julio Cesar Cediloo) anfreundet, der zwar stets Panik vor der Grenzpolizei hat, aber eigentlich legal in Texas arbeitet, um eines Tages zu seiner Familie zurückkehren zu können. In der Kleinstadt lässt sich außerdem der überambitionierte junge Grenzpolizist Mike Norton (Barry Pepper) mit seiner desillusionierten blonden Ehefrau mit Modelambitionien, Lou Ann (die traurigsten Augen des Festivals gehörten January Jones), nieder, der sein gewalttätiges Potential und seinen Hass auf die mexikanischen Nachbarn nicht wirklich unter Kontrolle hat. Gesellschaftlicher Mittelpunkt des Ortes ist das Diner von Rachel (Melissa Leo) und ihrem Mann, und es ist nicht wirklich ein Geheimnis, dass Rachel mit dem Polizeichef Belmont (Dwight Yoakam) schläft und mit Pete. Dass Rachel Lou Ann zu einem Schäferstündchen mit Petes Freund Melquiades verführt, nimmt einen ironisch-tragischen Beigeschmack an, als Norton ausgerechnet Melquiades versehentlich erschießt. In einem entschlossenen Akt von Selbstjustiz greift daraufhin Pete den unglücklichen Mörder, zwingt ihn, Melquiades‘ schnell verscharrte Leiche wieder auszugraben und den rapide verwesenden Körper gemeinsam mit ihm auf dem Pferde- bzw. Mulirücken über die mexikanische Grenze zu schmuggeln, wo Melquiades beerdigt werden wollte - mitsamt dem Polizeichef und der Grenzpolizei dicht auf den Fersen, und den Tücken der Wild-West-Landschaft erbarmungslos ausgeliefert.
Jones nimmt sich Zeit, der zerklüfteten, vielfältigen rauen Landschaft zwischen Gebirge und Wüste - von Kameramann und Oscargewinner Chris Menges in bester John-Ford-Manier großartig gefilmt - und der verarmten, aber herzlichen Bevölkerung und dem schwelenden Grenzkonflikt ein angemessenes Maß an Aufmerksamkeit zu schenken, ohne dabei von der Kernhandlung abzudriften. Nun sprengt das Maß an Läuterung, die der als extrem unsympathisch beschriebene Egomane, Macho und Dummkopf Mike Norton am Ende erfährt, vielleicht den Rahmen der Handlung, die nie müde wird, in Rückblenden darauf hinzuweisen, was für ein guter Arbeiter und Mensch wiederum Melquiades gewesen ist. Dennoch lässt auch Melquiades ein Rätsel zurück, das Pete nicht wirklich in der Lage zu lösen ist und das auch ihn selbst seinen zurückgelegten Weg gänzlich überdenken lässt. Eine Prise Humor, die weder in Arriagas Drehbuch zu „21 Gramm“ noch „Amores Perros“ Platz hatte, die Tommy Lee Jones einige Clint-Eastwood-mäßige Oneliner beschert und vor allem auf Kosten des schauspielernden Countrysängers Dwight Yoakam in der Rolle des genervten Polizeichefs mit Potenzproblemen geht, nimmt dem Film seine Schwere. „The Three Burials of Melquiades Estrada“ - neben Wim Wenders‘ „Don’t Come Knocking“ und David Jacobsons „Down in the Valley“ die dritte Verneigung vor dem klassischen Western in Cannes - ist eine wirklich ambitionierte, engagierte und überzeugende Genrearbeit im Geiste von Sam Peckinpah, die ohne Zweifel auch außerhalb des Festivalprogramms ein begeistertes Publikum finden sollte.
deg.