Before Sunset: Im Sequel von Richard Linklaters "Before Sunrise" verbringen Ethan Hawke und Julie Delpy neun Jahre nach ihrer ersten Begegnung einen Nachmittag plaudernd in Paris.
Ein Wiedersehen mit den Gewinnern des Silbernen Bären 1995: Richard Linklater drehte das Sequel zu seinem Generation-X-Kultfilm „Before Sunrise“: Neun Jahre, nachdem sich Jesse und Céline in Wien trafen, begegnen sie sich in Paris wieder und verbringen eine Stunde vor Sonnenuntergang miteinander. Gemeinsam mit Linklater verfassten Hauptdarsteller Ethan Hawke und Julie Delpy das Drehbuch und füllten dies mit nicht weniger als all den Erfahrungen, die zwei Menschen im Laufe von knapp zehn Jahren sammeln können.
Einstellungen ohne Schnitt so lang wie der Redefluss von Julie Delpys Céline, Gesprächswendungen so komisch wie die Grimassen von Ethan Hawkes Jesse, ein ungeschminkter realistischer Blick vor wie improvisiert wirkenden Drehorten mit nicht weniger improvisierten Dialogen und der Reduktion der Handlung auf die Unterhaltung von zwei jungen Menschen - was 1995 noch so aufregend war wie die erste Liebe hat heute eine Reife und Sicherheit, die nicht perfekter das Ergebnis dessen sein könnte, was ein Mensch in den entscheidenden Jahren seiner Jugend erfährt, bevor er die Dreißig überschreitet. Julie Delpy, Ethan Hawke und Richard Linklater sind, um ganz genau zu sein, neun Jahre älter geworden, seit sie mit der hinreißend wahrhaftigen und geschwätzigen Generation-X-Lovestory damals ebenfalls im Wettbewerb der Berlinale allesamt auf sich aufmerksam machten. Das so nahe liegende Sequel, auf das jeder hoffte, der wissen wollte, ob sich der sympathische, lustige junge Amerikaner und die schöne, intellektuelle Französin mit den kommunistischen Ansichten nach ihrer romantischen Zufallsbegegnung in Wien vielleicht eines Tages wieder treffen würden - hier ist es endlich, lange geplant und zu einem Werk gewachsen, dass die Spontaneität, Wahrhaftigkeit und Unmittelbarkeit einer zutiefst romantischen Begegnung hat, die selbst Sofia Coppolas „Lost in Translation“ fast in den Schatten stellt.
Erstaunlicherweise war das Budget von Linklater, der gerade mit der Komödie „School of Rock“ die Kinokassen musikalisch klingen lässt, geringer als das seines ausgezeichneten ersten Teils. An nur 15 Tagen wurde „Before Sunset“ in Paris gedreht, am Drehbuch schrieben Delpy, Hawke und der Regisseur weit länger, beschränkten sich auf weniger Szenen, eine kürzere Laufzeit, verzichteten komplett auf Nebenfiguren - hier geht’s nur noch um die beiden Soulmates und die Frage, was aus ihnen und ihrer Freundschaft geworden ist. Haben sie einander vergessen? Was bedeutet beiden die Begegnung? Dem Amerikaner Jesse nicht weniger, als dass er darüber gleich einen Roman geschrieben hat und sich damit nun auf Lesereise in Paris befindet; der Französin Céline so viel, dass sie ihn nach dem Lesen der Ankündigung in der Buchhandlung aufsucht. Eine knappe Stunde bleibt beiden, bis Jesse zurück in die Heimat fliegen soll und beide am Ende des Tages nach einem Spaziergang durch die Gassen von Paris in Célines Wohnung einer Aufnahme von Nina Simone lauschen. Dazwischen: Reden. Über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über Sex, Buddhismus, Umweltkatastrophen - und über das, was zwei Menschen Anfang Dreißig am meisten beschäftigt, ihre Beziehungen. Und wieder ist es wie beim „ersten Mal“: Die Unterhaltungen, die Wortgewandtheit und der Wortwitz, die Dynamik, mit denen Delpy und Hawke von einem Thema zum nächsten wechseln, die Begeisterung und Leidenschaft, die man nur in Gesprächen mit einem vertrauten, gleichgesinnten Gegenüber zum Ausdruck bringen mag - all das ist einmal mehr so anziehend, dass selbst das sommerliche Paris hinter den Figuren vollkommen egal wird. Keinen Moment will man verpassen, keinen Blick, keine Berührung, kein Wort der beiden Seelenverwandten. „Before Sunset“ macht alles richtig, hat das richtige Timing und Tempo, das richtige Maß, mit dem Erinnerungen an Teil Eins aufgefrischt werden, das Ohr am Puls der Zeit und seiner Charaktere, ist entspannt und unprätentiös und weniger altklug im Verbalmarathon der Figuren, die damals noch Anfang Zwanzig jetzt in einigem vorangekommen, in vielem ratloser sind als früher. Mehr muss gar nicht verraten werden über diesen kurzen Ausflug mit zwei alten Freunden - „alles Weitere wäre schließlich“, um mit Linklater zu sprechen, „für’n Arsch“. Was bleibt ist schon jetzt der sehnliche Wunsch nach Teil drei - um am Morgen danach dabei sein zu können. cm.